Wasser in der Stadt: Das Pilotprojekt Leipziger BlauGrün

Interview

Kommunen sind Schlüsselakteur*innen in der Anpassung an die Klima- und Wasserkrise. Wie das konkret aussehen kann, zeigt ein Projekt aus Leipzig.

Im Hintergrund die zu bebauende Fläche. Im Vordergrund eine Darstellung des künftigen Quartiers.

In der Leipziger Innenstadt entsteht ein wasser- und energieeffizientes Viertel mit über 2.000 Wohnungen. Ein Ziel ist, das Regenwasser im Quartier zu speichern. Es versorgt das Grün mit Wasser und hilft so, ein angenehmes Klima für die Bewohner*innen zu schaffen. Die Kanalisation wird entlastet. Wir sprachen mit dem Projektleiter Prof. Roland Arno Müller vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) Leipzig und erfahren mehr über blaugrüne Quartiers- und Stadtplanung anhand des konkreten Pilotprojekts.

 

Grit Ebert: Am Eutritzscher Freiladebahnhof, entsteht ein abflussloses und ressourceneffizientes Stadtquartier in Leipzig. Was ist denn konkret darunter zu verstehen?

Prof. Müller: Abflusslos bedeutet in diesem Fall, dass sämtliches Oberflächenwasser im Quartier zurückgehalten werden muss und nicht, wie sonst üblich, in das Kanalnetzsystem abgegeben wird. Die ursprüngliche Planung kam im Sinne der Starkregen-Vorsorge der Stadt Leipzig, wo man Hochwässer vermeiden wollte und bestimmte Aufgaben eben in dem Fall an den privaten Investor gegeben hat. Das war dann auch gewissermaßen der Ausgangspunkt der Zusammenarbeit zwischen Forschung, Stadt und Privatinvestor.

2018/19 kamen die ersten trockenen Sommer, die so massive Auswirkungen zeigten. Hier in Leipzig haben wir das leider gemerkt. Ich glaube, es waren etwa 1.800 Stadtbäume, die wir verloren haben wegen des Hitzestresses, wegen der Trockenheit. Das ist ja dabei nur ein Indikator von vielen, dass der Klimawandel angekommen ist in unseren Städten. Wir haben also auch die Trockenheit mit als Aufgabe dazu genommen. Man kann sich ja nicht nur eine Seite der Medaille angucken.

Das Thema wassersensitive Stadt, was dahinter steht, bewegt natürlich viele Städte und die Frage ist, wie mache ich das zukünftig? Wie bereite ich Quartiere im Neubau und im Bestand vor? Wie sehen die Genehmigungsverfahren aus, die dazugehören? Wer ist für was verantwortlich? Wie sieht es perspektivisch danach mit der Betriebsführung aus? Welche neuen Möglichkeiten haben wir z.B. für die Wasserkreisläufe? Welche neuen Fragen kommen vielleicht auch noch dazu? Also, ein Riesenpaket, aber sehr, sehr spannend!

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Grit Ebert: Wassersensible Stadtentwicklung ist sicherlich aufwendig und sehr kosteninstensiv könnte ich mir vorstellen – ganz provokativ gefragt: Lohnt sich das überhaupt?

Prof. Müller: Es kommen auch erhebliche Kosten auf die Gesellschaft zu, wenn man nichts tut! Es wird ja nicht so sein, dass wir eine Stadt von heute auf morgen umkrempeln können, sondern wir sprechen über viele kleinere, mittlere und große Investitionen über einen längeren Zeitraum. Es gibt immer diese Gelegenheitsfenster für Investitionen, wann immer die nun auch auftreten. Und es ist ganz wichtig, wenn diese Fenster sich auftun, dass man dann richtig plant und sich richtig entscheidet!

Wenn ich ein Beispiel geben darf: Ein Gründach hat verschiedene Designmöglichkeiten. Ich kann ein Gründach aus verschiedenen Baustoffen einsetzen. Ich kann es mit Bewässerung bauen, ohne Bewässerung bauen. Ich kann es aber auch nutzen, um Wasser zu speichern auf dem Dach oder beispielsweise zur Weiterleitung in einen Speicher im Innenhof. Ich kann das koppeln mit Photovoltaik. Es gibt ganz viele detaillierte Fragen, die man dann beantworten muss und die Größenordnung ist auf jeden Fall nichts, was eine Stadt erschlagen würde. Vor allen Dingen dann nicht, ist jetzt meine Prognose, wenn man es mit den Kosten vergleicht, die der Klimawandel mit sich bringt. Und das sollte eigentlich die Ausgangsbasis sein.

 

"Wir haben die immer extremeren Wetterereignisse, also Starkregen vs. Trockenheit. Das heißt, ich muss mir überlegen, was für ein Wassermanagement muss ich hier in meiner Stadt realisieren?" (Prof. Müller, UFZ Leipzig)

 

Grit Ebert: Können Sie die Herausforderungen für die Städte vielleicht noch einmal ganz grob skizzieren, vor denen die Städte stehen werden?

Prof. Müller: Ja, es sind Herausforderungen und Chancen aber auch! Ich fang mal mit dem Positiven an: Die Chancen sind ja die 70-80 Prozent der Menschen, die in den nächsten Jahrzehnten in den Städten leben werden. D.h., wenn es gelingt, dort Maßnahmen, z.B. auch Energieeinsparungen umzusetzen, dann haben wir einen unglaublichen Wirkungsgrad!

Wenn ich jetzt in die Stadtplanung hineinschaue, dann ist die Aufgabe jetzt natürlich erstmal sehr, sehr groß: Man muss sich auf die Klimaveränderung einstellen. Wir haben die immer extremeren Wetterereignisse, also Starkregen vs. Trockenheit. Das heißt, ich muss mir überlegen, was für ein Wassermanagement muss ich hier in meiner Stadt realisieren?

Eine ganz große Herausforderung ist mit der Komplexität umzugehen! Wir reden ja nicht nur über Wasser, sondern auch über Energie, Verkehr, die Bevölkerung. Das heißt, ich muss Routinen entwickeln, diese Komplexität so abzubilden, dass ich entscheiden kann.

Hier in Leipzig habe ich es z.B. sehr begrüßt, dass man einen Lenkungskreis wassersensitive Stadtplanung oder Stadtentwicklung ins Leben gerufen hat, wo Vertreter der Kommunalunternehmen, Vertreter der Ämter am Runden Tisch sitzen und gemeinsam eben solche Maßnahmen durchdiskutieren. Und ich denke, da wird es auch mittelfristig einige Änderungen geben im Genehmigungsverfahren. Wenn ich alleine das Stichwort „Klimanotstand in den Städten“ sehe, wo man bestimmte Maßnahmen jetzt auch umsetzen möchte oder muss, die aber nicht immer mit einzelnen genehmigungsrechtlichen Schritten aus Gesetzen, die vielleicht noch aus den 1950er Jahren stammen, zusammen gehen. Die muss man sicherlich schrittweise auch abgleichen oder angleichen. Das ist aber etwas, wo mir unsere Rechtswissenschaftler, die hier im Projekt mitwirken, auch Mut gemacht haben.

 

Grit Ebert: Sie hatten ja gerade berichtet, das Projekt BlauGrünes Leipzig ist ein Gemeinschaftsprojekt der Stadt Leipzig, von Ihnen als Wissenschaftler*innen, die das ganze Projekt begleiten und Investoren. Das klingt nach sehr viel Abstimmungsbedarf, sehr vielen Runden, nach sehr großem Aufwand! Was mich jetzt interessieren würde, ist, wo gab es die Initialzündung zu diesem Projekt? Wer hat sie gesetzt? Und wie läuft so etwas im Projektverlauf weiter?

Prof. Müller: Vorangegangen war ein Gespräch mit der Geschäftsführung von den Wasserwerken, der Amtsleiterin unseres Umweltamtes und dem UFZ, wo wir über anstehende Aufgaben, Probleme diskutiert haben. Damals war die Perspektive Starkregen-Vorsorge. In dieser Zeit sind auch die Gespräche um das Quartier 416 so langsam ins Leben gerufen worden. Was uns sehr geholfen hat, war, dass wir das Ganze über ein Projekt des BMBF, also unser Forschungsministerium, anteilig finanziert bekommen haben.

Das Ganze war im Design Wissenschaft – Stadt – Investor / KMUs von Anfang an gewollt. Das hat natürlich auch sehr geholfen, dass sich die entsprechenden Verantwortlichen regelmäßig getroffen haben. Wir haben versucht, das strategisch zu planen. Und zwar hatten wir – wir nennen das Co-Design in der Wissenschaft -, eine Struktur ins Leben gerufen, wo zu den verschiedenen Themen die wissenschaftlichen Partner Beiträge geleistet haben, also Wasser, Energie, Steuerung, rechtliche Fragen, ökonomische Fragen. Ergebnisse aus den einzelnen Paketen wurden in unterschiedlichen Abständen der Entscheiderseite vorgestellt. Und die Entscheiderseite besteht eben aus den Amtsleitern, aus Vertreter*innen des Stadtrates, Bürgervertretern und den kommunalen Unternehmen, die ja die großen Investitionen machen, wenn sie nicht privat sind.

Grafik zur Funktionsweise des Co-Designs im Projekt Leipziger BlauGrün

Wir haben uns immer gefreut, dass uns die Planer des Investors regelmäßig zu den Planungsgesprächen eingeladen haben, was ja nicht selbstverständlich ist. Dort war es natürlich auch wichtig und interessant, bestimmte Aspekte dieser blaugrünen Planungsperspektive einzubringen.

Was auch sehr wichtig war, ist, dass es einen Projektbeirat gibt, wo eben, die Amtsleiter und Geschäftsführer der kommunalen Unternehmen – Wasserwerk in dem Fall - bzw. des UFZs vertreten sind und Stadtratsvertreter, wo wir die Roadmap für die nächsten Jahre mitdiskutieren können.

Und das ist vielleicht noch ein wichtiger Punkt: Es geht ja nicht nur um das Quartier 416. Wir müssen das Ganze und das soll die nächste Projektphase dann auch bringen, in den Bestand übertragen. Da werden wir mit einer neuen Art von Investor zusammenarbeiten. Das sind in dem Fall die Leipziger Wohnungsbaugesellschaften, die für so vergleichsweise kurze Projektlaufzeiten natürlich sehr interessant sind, weil sie ja auch einen Planungshorizont haben, wann welches Haus wie saniert wird. Und die natürlich auch von den Erkenntnissen profitieren wollen. Die Bürger werden ja davon profitieren, wenn es gelingt, einen wassersensitiven Wohnblock zu haben oder einen klimaangepassten Wohnblock. Im Idealfall kann man sich das so vorstellen, dass wir einen bewässerten, ganzjährig funktionierenden Innenhof haben, der kühlt, der auch Schatten spendet. Die blaugrünen Infrastrukturen können auch durchaus dazu beitragen, Energie einzusparen.

 

Grit Ebert: Wenn man jetzt irgendwie am Reißbrett ein Quartier zaubert, dann bekommt man das sicherlich alles gesteuert, aber gerade bei bestehenden Quartieren wird es natürlich dann schwierig. Können Sie da schon konkreter werden oder ist es noch zu früh?

Prof. Müller: Beispielsweise haben wir in dem 416er Quartier diese blaugrüne Planung runtergebrochen bis auf Wohnblockebene. Ein Wohnblock besteht aus, sage ich mal, dem Anschluss an die Straße, Bürgersteig, vielleicht Baumrigolen, Rigolen, einem Gründach anteilig. Hier haben wir einen begrünten Innenhof, der ja auch eine blaugrüne Infrastruktur darstellt.

Wir haben berechnet, wie viel Wasser wird in diesem Wohnblock unter Wassermangelbedingungen – da haben wir einfach die Jahre 2018, 2019 als Beispiel genommen – gespeichert, aufgefangen über die Flächen. Auf der anderen Seite kann man abschätzen, wie viel Wasser man braucht für Bewässerungsfragen. Wichtig ist da natürlich, welche Funktionen will man von diesen blaugrünen Infrastrukturen denn abrufen? Will ich kühlen? Dann muss ich auch bewässern, dass ich über die Verdunstungskälte diese Kühleffekte erziele. Dann muss ich aber auch Wasser dafür in meiner Bilanz berücksichtigen.

Wir haben dann so einen Wohnblock als Modul und wenn ich mit so einem geschlossenen Wasserkreislauf dann in den Bestand gehe, kann ich zumindest anteilig Eigenschaften dieses blaugrünen Wohnblocks auch im Bestand übertragen. Das muss man natürlich mehr an die vorhandene Infrastruktur anpassen. Die Vision muss sein, dass man möglichst viel von diesen blaugrünen Infrastrúkturen dort verbaut, wo es Sinn macht. Und in der Summe wird man da, ich denke, erhebliche Vorteile haben!

Wir haben jetzt sehr viel über Trockenheit und Kühlung gesprochen, aber das andere Extrem ist ja auch wichtig – der Starkregen, die Starkregen-Vorsorge! Auch hier haben wir entsprechende Modellierungen gemacht mit den Kollegen aus dem Projekt zusammen und den Wasserwerken. Dort ist herausgekommen: Man kann auch nachträglich durch den Verbau von dezentralen Infrastrukturen erheblich dazu beitragen, diese Starkregeneffekte abzupuffern. Wasser wird versickert ins Grundwasser, was dann vielleicht wieder für Bewässerungsfragen zur Verfügung stehen könnte.

Die gute Nachricht ist also, dass man auch nachträglich noch Vieles machen kann. Das setzt aber das Verständnis über die Komplexität voraus, was man in welcher Reihenfolge tun muss.

Das geht sicherlich auch in Richtung von zukünftigen Themen. Man wird überlegen müssen, wie man die Komplexität so bearbeiten kann, dass Entscheider damit schneller umgehen können. Ich sprech in Richtung von digitalen Datenplattformen, wo man bestimmte Dinge in intelligenten GIS-Systemen z.B. abbildet. Sie müssen sich das so vorstellen, dass das Ausschnitte der Stadt sind. Wir wissen, wenn Starkregen kommt, gibt es hier Überschwemmungen. Die nächste Ebene wäre dann zum Beispiel die Aussage, wo besonders viel Hitze zu erwarten ist wegen Verdichtungsmaßnahmen. Also, man kann dort 10, 20, 30, 40 verschiedene Schichten sehen, die eben aufeinander liegen und kriegt dann eine sehr gute Übersicht, was in einem Quartier so alles passiert und kann dann Entscheidungen vielleicht auch besser begründen.

Was vielleicht in den nächsten 10 Jahren noch kommen wird und muss sind digitale Zwillinge, wo ich eine Stadt idealerweise ganz abbilden kann, wo ich dann eine Frage stellen kann, wie viel Wasser braucht denn meine Stadt im Jahr 2030 eigentlich - was einfach klingt, aber sehr, sehr komplex zu beantworten ist, weil da geht dann die Klimamodellierung rein, die Wetterereignisse, aber auch die Bedarfe, die Bürgerentwicklung, die Ziele in der Stadt usw..

 

"Man braucht Prototypen, durchexerzierte Genehmigungsverfahren und idealerweise das fertige Ergebnis, wo man sieht, es funktioniert und es ist gar nicht so schwierig!" (Prof. Müller, UFZ Leipzig)

 

Grit Ebert: Sie sind ja die Partner*innen aus der Wissenschaft, die wahrscheinlich ganz viel davon übernehmen für das Projekt, über das wir gerade sprechen. Wer kann das für eine Stadt modellieren, der diese wissenschaftliche Begleitung fehlt, so dass auch hier eine Basis da ist, auf der Entscheidungen getroffen werden können?  

Prof. Müller: Wir haben sehr viele gute Planer, die für die Städte arbeiten. Wenn es uns gelingt, diese blaugrünen Perspektiven auch in die Planung zu bekommen, bin ich ziemlich sicher, dass – es sind ja nicht immer solche großen Projekte, wie das, worüber wir gerade reden – das eben auch schrittweise in den Kommunen von den Planern umgesetzt werden kann. Das setzt natürlich voraus, dass in den Kommunen auch der Wille zum Stadtumbau vorhanden ist, was aber zunehmend der Fall ist, denke ich.

Auf der anderen Seite sind wir auch immer sehr interessiert, das Know How weiterzugeben. Allein in der Fördermaßnahme vom Forschungsministerium gab es insgesamt elf Modellregionen und wir haben regelmäßig Veranstaltungen zu den Ergebnissen gemacht. Auch innerhalb der Projekte gab es dann wiederum Veranstaltungen. Allein mit unserem Projekt haben wir mehr als 1.000 Vertreter aus den Kommunen erreicht. Das war vielleicht auch noch eine späte Erkenntnis aus der Coronazeit, dass diese virtuellen Vorträge natürlich gerade interessant waren auch für die Verantwortlichen aus den Städten, die sonst vielleicht nicht angereist wären.

Und was noch das Dritte wäre: Das habe ich eben schon versucht, anzudeuten mit den entsprechenden digitalen Zwillingen. Wenn es gelingt, diese digitale Methodik auf die jeweiligen Städte anzuwenden, dann hat man, denke ich, zumindest in mittelfristiger Perspektive auch eine große Hilfestellung da.

Aber vielleicht ist es wirklich so, dass die größeren Städte, wo vielleicht mehr Personal auch in den Ämtern ist, da durchaus auch mal in einen Lead gehen müssen. Wir versuchen auch, andere Städte mit ins Boot zu nehmen. Aber ich glaube, man braucht Prototypen, durchexerzierte Genehmigungsverfahren und auch idealerweise dann das fertige Ergebnis, wo man sieht, es funktioniert und es ist jetzt eigentlich gar nicht so schwierig, das zu machen. Und darum geht es ja eigentlich dann.

 

Grit Ebert: Sind Sie auf Hürden gestoßen, die jetzt das Projekt erst einmal an einigen Stellen zumindest verlangsamt oder in eine andere Richtung geführt haben? Welche waren das?

Prof. Müller: Die Hürde - das meine ich aber jetzt gar nicht unbedingt negativ, sondern das ist vielleicht sogar fast normal – ist natürlich das Genehmigungsverfahren selber gewesen, weil das teilweise Neuland auch für die verschiedenen Amtsvertreter gewesen ist. Deswegen hatte ich gerade ja gesagt, dass man mit jedem Genehmigungsdurchgang voneinander lernt auch innerhalb der verschiedenen Kommunen und Ämter und das hat zu einer gewissen Verlängerung der Genehmigungsphase geführt.

Auf der anderen Seite gab es auch immer wieder neue Forderungen in Richtung Investor, die dann eben auch wieder nachbearbeitet werden mussten. Aber auch das ist eigentlich normal bei so einem großen, komplexen Bauvorhaben.

Es gab jetzt keine Widerstände erfreulicher Weise. Diesen Willen, gemeinsam zu arbeiten, hat man immer gespürt. Aber auf Detailebene gab es wirklich sehr, sehr viele Dinge, die ausdiskutiert werden mussten, wo man Kompromisse machen musste: Das gehört aber vielleicht dazu. Das kann man auch nicht verhindern.

 

Grit Ebert: Sie hatten schon gerade auf dieses Blaue und das Grüne abgehoben. Was verbirgt sich denn jeweils dahinter – also, hinter dem Begriff „blau“ und dem Begriff „grün“? Können Sie das vielleicht noch einmal kurz umreißen?

Prof. Müller: Stadtgrün oder grüne Infrastrukturen bezeichnen im weitesten Sinne die urbanen Grünflächen, die eine bestimmte Aufgabe dann auch in der Stadt wahrnehmen können: von Erholung, Biodiversität, Beschattung, Wasserspeicherung usw..

Wenn man gezielt diese grünen Infrastrukturen für Maßnahmen des Wassermanagements einsetzt, dann bezeichnen wir das als blaugrüne Wasserinfrastruktur. Das ist eine ganze Werkzeugkiste von unterschiedlichen Technologien.

Das bekannteste sind die Gründächer wahrscheinlich. Die gibt es in verschiedenen Designs: Als einfaches Gründach, wie wir es vielleicht von Bushaltestellen oder Straßenbahnhaltestellen kennen. Es gibt intensivere Formen von Gründächern, die Wasser speichern können.

Baumrigolen im Stresstest - verschiedene Baumarten werden hinsichtlich ihrer Eignung für Baumrigolen geprüft
Baumrigolen im Stresstest - verschiedene Baumarten werden hinsichtlich ihrer Eignung für Baumrigolen geprüft in der Versuchsanlage Dresden-Pillnitz.

Es gibt einfache Maßnahmen wie Rigolen, also einfach Wasserspeicher. Es gibt aber auch eine moderne, neue Rigole, die nicht so bekannt ist, die sogenannten Baumrigolen, wo man noch einen Baum in die Rigole pflanzt. Auch hier hat man den Vorteil, ähnlich wie bei den intensiven Gründächern, dass hier immer eine gewisse Wassermenge zur Verfügung steht, der Baum also ganzjährig aktiv ist und positive Effekte eben auch für den urbanen Raum hat. Durch die Evapotranspiration kommt es zu einer Luftbewegung, Schadstoffe werden auch wegmobilisiert, wo wir uns sonst bewegen würden. Aber auch Reinigungsprozesse werden bei dieser Wasserpassage durch die blaugrünen Infrastrukturen gezielt abgerufen.

Die Innenhöfe haben eine wichtige Funktion. Leipzig ist ja vielleicht dadurch auch bekannt, dass wir diese grünen Innenhöfe um die Wohnblöcke haben. So einen Innenhof kann man ja auch wassersensitiv oder klimaresilient weiterentwickeln, indem man die richtige Bepflanzung, die richtige Beschattung zum Beispiel wählt. Und hat dann auch mehrere direkt abrufbare Funktionen: Die Kühlung, auch hier hat man Luftbewegungen, die Biodiversität, für die Bürger ein angenehmes Umfeld, aber auch als Wasserspeicher. Der Innenhof kann auch erhebliche Wassermengen speichern und sie direkt ins Grundwasser zum Beispiel weiterleiten oder eben in Zwischenspeichern, in technischen Speichern hinterlassen.

Und das ist dann wieder die Ebene, die ich eben ansprach. Die Planer, die damit sehr gut umgehen können – das ist ja kein Neuland, was man jetzt wo infrastrukturell alles machen kann -, aber die Art, wie das Wasssermanagement dann erfolgt, das ist eigentlich die Herausforderung, wo die Zusammenarbeitsebene auch immer wieder gesucht werden muss.

Ja, also blaugrün ist letztendlich ein Maßnahmetool von mehreren, durchaus vergleichsweise kleinen Infrastrukturen, die gezielt eingesetzt werden müssen und können.

Grit Ebert: Gab es etwas, was Sie aus dem bisherigen Projektverlauf besonders erinnern oder mitgenommen haben?

Prof. Müller: Ein interessantes Format: Das ist das sogenannte Format des Bürgerforums. Das haben die Privatinvestoren mit der Stadt mal eingeführt. In diesem Bürgerforum werden regelmäßig Bürger eingeladen. Es sind Vertreter, Vertreterinnen des Stadtrates dabei. In bestimmten Abständen, also, ich denke mal, so aller sechs bis 12 Monate gab es diese Bürgerforen.

Was ich gelernt habe, man kann und man muss, den Bürgern näherbringen, dass das natürlich Vorteile mit sich bringen kann: So eine wassersensitive Stadt hebt ja die Lebensqualität an!

Eine große, neue Initiative wird sicherlich auch sein, den Begriff der Schwammstadt auszuweiten auf die thermische Schwammstadt. Man kann also auch die Stadt von ihren Oberflächen her durchaus aktivieren: Also, Wärme speichern, Kälte speichern. So eine ganz faszinierende Möglichkeit, die wir auch mit Kollegen aus Kiel zunehmend diskutieren und vielleicht auch in Pilotstrukturen mal umsetzen werden.

 

Grit Ebert: Weil sie gerade meinten, man müsse den Bürger*innen erklären, dass das auch Vorteile für sie hat. Kommen da Vorbehalte?

Prof. Müller: Ich selber habe zwei dieser Bürgerforen besucht und Fragen, die mir dann gestellt wurden, waren typischer Weise: Wie das mit den Mietpreisen z.B. ist und den Anteil von Sozialwohnungen. Solche Fragen kommen dann immer, wo die Stadt auch mit dem Investor im engen Austausch ist. Da sind auch Forderungen oder Wünsche hin und her ausgetauscht worden, wo das auch anteilig gut berücksichtigt wurde.  Interessant wird es natürlich noch einmal, wenn die zukünftigen Mieter und Käufer dann vielleicht mal da sind, die dann direkten Bezug zu dem haben, was wir dort implementieren werden.

 

Grit Ebert: Aber grundsätzlich ist es ein wichtiger Punkt, dass überall bezahlbarer Wohnraum entsteht und keine Viertel nur für diejenigen, die es sich eben leisten können, in einem angenehmeren Wohnumfeld zu leben und eben dann andere an Randsituationen verdrängt werden, wo es vielleicht die "Platte" gibt, die sonnenbestrahlt ist und wo die Menschen unter der Hitze leiden. Da kann man durchaus die Bürger*innen verstehen, dass sie sich Sorgen machen.

Prof. Müller: Es war ja nicht so, dass man keine Antworten geben kann. Aus Sicht des Forschungsvorhabens war es ja erstmal wichtig zu demonstrieren, was technisch möglich ist: Dass man die Wirkung der Technologien beschreibt, dass man sie modelliert, dass man Szenarien entwickelt, dass man die mit den Ämtern diskutiert, mit den Planern diskutiert, dass man dem Stadtrat eine Entscheidungsvorlage gemeinsam vorlegen kann. Meine Perspektive ist gar nicht so sehr: Das ist ein Luxusquartier, sondern das ist eher ein modellhaftes, erstes blaugrünes Quartier, das erstmal gezeigt hat, dass es grundsätzlich geht.

Und die Aufgabe muss es jetzt sein, dass man im Bestand prüft, was davon gemacht werden muss oder was vielleicht gemacht werden kann.

 

"Was man sich von den Städten und den rechtlichen Rahmenbedingungen erhofft, sind klare Vorgaben." (Prof. Müller, UFZ Leipzig)

 

Grit Ebert: Ich habe gesehen, eine Ihrer Forschungsfragen ist, ob die aktuellen gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden müssen, um Kommunen und Investoren wassersensibles Bauen zu ermöglichen bzw. sie überhaupt erst einmal zu animieren, dies zu tun. Gibt es da schon Antworten?

Prof. Müller: Wir haben ein Teilprojekt, was sich genau mit diesen Fragen beschäftigt. Ich glaube, die grundsätzliche Antwort war die, dass der rechtliche Rahmen auf jeden Fall dafür da ist, die urbane Transformation zu beginnen. Es gibt an vielen Stellen Möglichkeiten - Stichwort: Genehmigungsverfahren -, manche Dinge sicherlich zu beschleunigen. Es gibt manche Bereiche, wo man sicherlich dann auf kommunaler Ebene in die Diskussion treten muss, beispielsweise: Darf ich das Grundwasser für Bewässerungsfragen nutzen oder nicht? Wobei meines Wissens da auch rechtlich nichts dagegen spricht, aber es gibt eine gewisse Unsicherheit, wenn man so etwas bewertet oder genehmigt, wo klare Vorgaben eben sein müssen.

Ich hatte neulich Gelegenheit mit mehreren Wohnungsbau-Gesellschaften zu diskutieren. Man hat auch dort durchaus diesen Transformationswillen. In der Diskussion hatte ich das sehr deutlich mitbekommen. Was man sich aber von den Städten und den rechtlichen Rahmenbedingungen erhofft, sind klare Vorgaben, worauf ich mich einstellen muss, z.B. in den nächsten 20, 30 Jahren, soweit man das eben vorhersagen kann. Man überlegt, an welcher Stelle muss ich als Investor reagieren oder wo kann ich reagieren?

Was man jetzt machen muss, ist wirklich, den Klimawandel ernst zu nehmen und nicht immer vor sich herzuschieben. Und damit sollte man so schnell wie möglich beginnen!

 

Grit Ebert: Die Städte funktionieren aber eigentlich auch nur mit den Bürger*innen: Können die bewusst was machen, um das Ganze zu befördern?

Prof. Müller: Man sieht es in kleinen Bereichen: Wenn Bürger, Bürgerinnen dazu beitragen, Bäume vor der Haustür zu bewässern, damit die Straßen grün bleiben.
Man kann natürlich auch über sein Wahlverhalten die Programme entsprechend unterstützen. Aber ich glaube auch, der Wille zum Klimaschutz ist ja bei vielen Parteien da und was wichtig ist, ist, dass jetzt vielleicht auch über Bürgernachfragen das eingefordert wird. Denn es ist ja nicht die Frage, ob der Klimawandel kommt. Wenn Städte nicht reagieren, sollten Bürger auch mal aktiv nachfragen!

 

Roland Arno Müller:
Prof. Müller leitet seit 2013 das Umwelt- und Biotechnologische Zentrum am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er ist berufener Honorarprofessor für Integriertes Abwasser-Ressourcen Management in der Fakultät Bauwesen der HTWK Leipzig. Sein besonderes Forschungsinteresse gilt der Entwicklung und Umsetzung von umweltbiotechnologischen Verfahren. Der Fokus liegt auf der Entwicklung neuer dezentraler naturnaher Verfahren zur Behandlung kontaminierter Ab-, Grund- und Oberflächenwässer sowie der Umsetzung und Implementierung – insbesondere für Regionen mit Wassermangel und im Rahmen neuer Infrastrukturkonzepte für zukünftige Stadtentwicklungen. Roland Müller ist Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes im BDZ e.V. (Bildungs- und Demonstrationszentrum für dezentrale Abwasserbehandlung). Er ist ferner Mitglied der DWA und GWP. Für seine Arbeiten wurde er gemeinsam mit seinem Team mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Umweltpreis im Jahr 2018.

Das Interview führte Grit Ebert im Juli 2022.

 

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