"Rechte Gewalt und Drohungen sind immer noch alltäglich."

Interview

Am 4.11.2021 ist es zehn Jahre her, dass sich die neonazistische Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) selbst enttarnte. Die Gruppe hatte über elf Jahre in Zwickau gelebt und von dort aus ihre Taten begangen. Das Gespräch mit drei jungen Bürger:innen der Stadt zeigt, dass die rechte Szene auch heute noch offen agitiert, Menschen bedroht und Gewalt ausübt.

Zerbrochenes Glas in organge

Zehn Jahre ist es her, dass sich die neonazistische Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) selbst enttarnte. Die Gruppe hatte über elf Jahre in Zwickau gelebt und von dort aus ihre Taten begangen. Nachdem es wenige Jahre still war um die extrem rechte Szene in der Stadt, sind extrem rechte Gruppen heute wieder sehr aktiv und stechen durch ihre besonders offensive Agitation hervor.

Um eine Übersicht der heute aktiven extrem rechten Akteur:innen zu bieten, hat der Chemnitzer Journalist Johannes Grunert eine Situationsanalyse verfasst. Ein besonderes Augenmerk legt er dabei auf die Situation der Betroffenen rechter Gewalt, mit denen im Rahmen der Ausarbeitung der Situationsanalyse zwei Interviews geführt wurden.

Begleitend zum Erscheinen der Situationsanalyse zu rechten Strukturen in der Stadt Zwickau sprach Johannes Grunert mit Tony, Jakob und Isabel (Name geändert), die von der rechten Gewalt in der Stadt betroffen sind.

Tony betreibt einen Laden in der Zwickauer Innenstadt, in dem vor allem selbstbedruckte Kleidung und Graffiti-Zubehör verkauft. Außerdem ist er im soziokulturellen Verein „Roter Baum“ aktiv. Jakob hat die Ortsgruppe von „Fridays for Future“ mit gegründet. Isabel erlebte es im Frühjahr zum ersten Mal, wie sie von Kadern der Partei „Der Dritte Weg“ verfolgt wurde.

Ihr erlebt die Situation in Zwickau täglich selbst und wart alle von der rechten Gewalt betroffen. Was läuft eurer Ansicht nach in der Stadt falsch und was sollte sich ändern?

Tony: Rechte Gewalt und Drohungen sind immer noch alltäglich. Gerade erst gab es in Zwickau den Christopher Street Day. Der Tag ging für mich damit los, dass kurz nach Ladenöffnung jemand ankam, einen Koffer vor die Tür stellte und weg rannte. Schon vor Beginn der Veranstaltung wurden Leute in der Stadt angespuckt. Die Polizei hat die Nazis im Umfeld der Veranstaltung schon auf dem Schirm. Trotzdem wurde die Bedrohungslage im Nachhinein heruntergespielt, nach dem Motto „Das sind doch nur 14-Jährige, die muss man nicht ernst nehmen.“ Dabei wurden an dem Tag immer wieder Menschen verfolgt, bedroht und bespuckt. Danach haben wir dann davon gelesen, dass eine abreisende Gruppe am Bahnhof von Rechten angegriffen wurde. Auch hier soll die Polizei nicht eingeschritten sein. Die Polizei sollte eigentlich wissen, was los ist. Ich weiß nicht, wie oft die schon auf und abgefahren sind, weil wir von Nazis bedroht wurden, wenn wir mal einen Infostand in der Stadt gemacht haben. Man hat in der Stadt einfach das Gefühl, das auch nach Gesprächen mit der Polizei die Bedrohungslage bei denen nicht so richtig ankommt.

Dazu kommt, dass wir das Gefühl haben, dass das Anzeigen von Straftaten nichts mehr bringt. Ich hatte regelmäßig Hakenkreuze und Nazisticker an meinem Briefkasten, habe das angezeigt, die Polizei hat sogar Fingerabdrücke genommen – dann habe ich aber nie wieder etwas davon gehört.

Jakob: Die Polizei scheint nicht genügend sensibilisiert. Neulich saßen wir am Fluss und wurden von Nazis angefeindet. Wir haben dann die Polizei gerufen, die uns fragte, ob wir überhaupt eine Anzeige machen wollen. Offenbar werden solche Angriffe als Bagatelldelikte gesehen. Wir haben dann darauf hingewiesen, dass die Tat auch als rechtsmotivierte Tat in die Statistiken eingeht. Das war in der Vergangenheit nämlich oft nicht der Fall. Als ich mal zu Hause Drohanrufe bekommen habe, meinte die Polizei, ich solle mein Telefon halt auf stumm stellen. Wenn man so eine Reaktion abkriegt, dann ist das ein richtiges Scheißgefühl.

Isabel: Ich würde mir auch wünschen, dass die Polizei uns ein bisschen ernster nimmt. Im Frühjahr war ich mit zwei Freundinnen in der Stadt unterwegs, als wir von einem Kader des Dritten Wegs erst zu Fuß und später von einer anderen Person mit dem Auto verfolgt wurden. Eine von uns hat einen alternativen Kleidungsstil und wir waren halt drei Frauen, deswegen wurden wir für die wohl zum Ziel. Wir sind dann in einen Hauseingang geflüchtet. Ich habe die Polizei angerufen. Anstatt gleich zu kommen, musste alles erst mal am Telefon ganz genau erörtert werden. Die haben uns das erst mal gar nicht wirklich abgenommen. Das war schon eine seltsame Situation, weil das Telefonat so lange ging und wir ja dachten, dass die Nazis in dem Moment noch hinter uns her sind. Die Nazis haben dann Leute angerufen und dann kamen sie von überall her. Irgendwann war die Polizei dann aber da, dann ist auch nichts mehr passiert. Ich habe dann gesagt, dass ich gern eine Anzeige machen will, aber wir haben uns auch dann von dem Polizisten nicht ernst genommen gefühlt. Wir haben uns dann die Frage gestellt, was wir machen, wenn wir mal wieder verfolgt werden. Macht es überhaupt Sinn, die Polizei zu rufen?

Der Vorfall hat mir schon ein Stück mein Sicherheitsgefühl genommen. Ich persönlich hatte so etwas vorher noch nicht erlebt. Besonders wenn ich mit Freundinnen unterwegs bin, die gerade mehr auf dem Radar von den Nazis sind, ist eine Gefahr da. Da sage ich mir vorher, du solltest heute besonders aufpassen.

Wen würdet ihr noch mehr in Aktion sehen wollen und was wären Forderungen?

Tony: Das mit der Einbeziehung von Akteuren hat das mit der Positionierung vor einigen Jahren schon mal ganz gut geklappt. Als die NPD hier 2010 aufmarschiert ist, haben sich viele kleine Unternehmen positioniert, da waren auch die Gewerkschaften mehr hinterher. Die Oberbürgermeisterin hat sich damals auch klar positioniert, auch weil sie selber betroffen war. Das vermissen wir heute. Eine einfache Sprache von den Behörden wäre auch gut, um die Menschen besser zu erreichen. Und es müssen viel mehr soziale Räume geschaffen werden und wir brauchen hauptamtliche Stellen im Verein, weil es so aufwendig ist, die ganze Bürokratie zu bewältigen.

Jakob: Das Problem ist, dass immer erst gehandelt wird, wenn das Image der Stadt bedroht ist. Zum Beispiel, als der Dritte Weg neulich Plakate gehängt hat, die zum Mord aufriefen. Erst wenn Zwickau in den Nachrichten ist, wird gehandelt, dann werden Statements abgegeben. Es gab auch Gesprächsangebote von Behörden mit uns, aber immer erst, wenn Druck von der Zivilgesellschaft kommt. Das ist aber ein völlig verkehrtes, umgedrehtes Denken. Wir fordern, dass die Stadt aus dieser Reaktionshaltung herauskommen und selbst Initiative ergreifen muss. Das könnte man zum Beispiel, indem man klar für die Einrichtung eines NSU-Dokumentationszentrums, das ja im sächsischen Koalitionsvertrag verankert ist, Stellung bezieht. Um mit der Logik der Stadt zu sprechen: Es würde sogar Menschen nach Zwickau ziehen und dessen Image verbessern.

War die Situation in Zwickau immer schon so bedrohlich für euch oder hat sie sich erst seit Beginn der Pandemie so entwickelt?

Jakob: Für Leute, die in Zwickau politisch aktiv sind, waren die Bedrohungen immer schon ein Thema. Seit Corona haben solche Fälle aber stark zugenommen. Die Rechten haben sich radikalisiert, sie sind gewaltbereiter und haben versucht, Teile des öffentlichen Raums einzunehmen.

Tony: Seit Corona ist das schon deutlich stärker zu spüren. Nach drei oder vier Monaten gab es so viele junge Nazis in der Stadt, das wurde dann zum Dauerzustand. Die Innenstadt ist damit zum schlimmsten Raum geworden, den ich auch am meisten meide. Ein Bekannter von mir führt auch einen Laden in der Stadt, bei ihm waren zwei Nazis drinnen und haben ihn direkt bedroht. Dass die in den Laden kommen könnten, ist immer in meinem Hinterkopf. Es sind aber nicht nur die politisch aktiven Leute, die so etwas erleben. In meinen Laden kommen auch viele unpolitische Leute, die davon erzählen, dass sie angefeindet werden. Die merken es erst jetzt, vorher haben sie von Bedrohungen gar nichts mitbekommen. Es sind immer mehr Leute betroffen. Auch solche, die überhaupt nicht politisch aktiv sind. Da reicht es schon, wenn man jemand politisch z.B. Aktives aus der Schule kennt. Insgesamt ist es gerade etwas ruhiger geworden, aber es ist trotzdem noch präsent.

Jakob: Die Auswahl der Ziele ist zufälliger geworden. Es reicht aus, die falschen Freunde in der Stadt zu haben, um beleidigt oder bespuckt zu werden. Immer wenn wir eine FFF-Demo haben, sind Nazis da und versuchen davor und danach Leute zu bedrohen. Das führt dazu, dass die Leute sich zweimal überlegen, ob sie beispielsweise gegen eine faschistische Partei auf die Straße gehen. Dadurch wird zivilgesellschaftliches Engagement gehemmt. Und auch wenn dann mal länger nichts passiert, bleibt dieses Unsicherheitsgefühl im Bauch. Das geht nicht mehr so schnell weg. Währenddessen scheint die Stadt die Verantwortung für den Kampf gegen rechts ausschließlich in der Zivilgesellschaft zu sehen. Von ein paar Leuten aus der Stadtverwaltung erhält man im persönlichen Gespräch mal ein Lob, aber gleichzeitig fehlt die konkrete Abgrenzung gegenüber diesen rechten Akteuren.

Bei den Corona-Protesten war das komplette Spektrum der Corona-Leugnenden auf der Straße. Da waren Leute, die sich zunächst nur über Angela Merkel aufgeregt haben und dann waren da AfD-Leute und dann stand plötzlich jemand vom Dritten Weg mit dabei. Man konnte den Teilnehmenden dann dabei zusehen, wie sie sie sich radikalisiert haben und nach ganz Rechtsaußen gewandert sind.

Wie es ist, dass der öffentliche Raum zum Angstraum wird, können sich heutzutage nur wenige vorstellen. Wie kann man sich das allgemein vorstellen?

Jakob: Man muss dazu man sagen, dass es einen Zwiespalt für viele gibt an Orten wie der Innenstadt. Wenn man da lang geht, hat man Angst, weil man weiß, hier wurden wir mal angegriffen. Aber andererseits war hier auch die coole Fridays-For-Future-Demo an die man schöne Erinnerungen hat. Das kennen alle, die in Zwickau aktiv sind, die haben alle diesen Zwiespalt der Erinnerungen.

Es wäre meine Hoffnung, dass Orte, wo sich junge Leute treffen und chillen, dass es dort ein Tabu wird, dass sich da Nazikader niederlassen und versuchen, kleine Kids zu radikalisieren.

Tony: Wenn Leute nach Zwickau kommen, haben die erst mal Angst. Wir zeigen wir ihnen dann, was hier alles Positives passiert ist. Was zurückerobert werden muss, ist die Straße, die momentan ein Angstraum ist. An öffentliche Orte wie den Skatepark würde ich schon gehen, aber nicht alleine.

Gibt es denn Orte, wo ihr abends hingehen könnt außer den wenigen linken Räumen?

Jakob: Es gibt allgemein wenige Veranstaltungsorte, zu denen wir uns mit weniger als fünf Leuten hintrauen würden. Selbst in den Mainstream-Clubs der Stadt trifft man Leute vom Dritten Weg und die Securities sind zwielichtig. In einen Club bin ich schon mal gekommen, da haben manche Leute den Hitlergruß gezeigt. Clubs, die sich da nicht klar positionieren, ziehen dieses Klientel an. Und ich glaube, sie wollen sich auch nicht klar positionieren, weil dann weniger Leute kommen würden.

Isabel: Ich war neulich das zweite mal mit einer Freundin in einer Disco, bei der unser Eindruck vom Publikum war, dass jeder dritte dort aussah wie ein Nazi. Da wäre es natürlich schön, wenn es vom Betreiber mal ein Statement gäbe. Aber viele haben einfach das Geld im Blick. Auch wenn man damit nicht verhindert, dass Nazis dort feiern, würde es sicher helfen, nach außen hin zumindest damit zu werben, dass man für Vielfalt und Toleranz steht.

Tony: In einer Location war neulich ein Metal-Festival, wo eine rechte Band spielen sollte. Wir haben den Betreiber dann darauf hingewiesen und er hat die Band ausgeladen. Ich frage mich aber, warum prüft man das nicht eher? Wenn in Zwickau rechte Bands spielen, dann lassen Clubs die auch aus finanziellem Interesse spielen, weil es eine große Nachfrage nach solchen Bands gibt. Es gibt noch eine andere Location, die ist definitiv rechtsoffen, da gehe ich nicht hin.

Ihr habt es eben schon mal angedeutet, dass nicht nur ihr selbst von Nazis bedroht werdet, sondern auch eure Freund:innen. Könnt ihr dazu etwas sagen?

Tony: Es ist mehrere Male vorgekommen, dass Leute bedroht wurden, die gar nicht politisch aktiv und teils auch noch sehr jung sind. Da wird mir erst mal eine Bedrohung im Netz geschickt und wenn ich nicht reagiere, dann wird das gleiche an jemand anders geschickt. Dadurch fühlen sich plötzlich Leute, die noch nie mit politischer Gewalt konfrontiert waren, unsicher. Das soll sich natürlich rumsprechen, das ist die Taktik.

Jakob: Mir ist es zum Beispiel mal passiert, dass ein Freund von mir im Schwimmbad bedroht wurde, weil bekannt war, dass er mit mir befreundet ist. Wenn Leute mit uns zusammen gesehen werden, kann es vorkommen, dass die Probleme bekommen. Das ist natürlich auch für Engagierte ein Scheißgefühl, wenn man weiß, dass quasi „Unschuldige“ da mit reingezogen werden. Das ist gewollt, damit sich Leute, die sich engagieren, noch mehr bedroht fühlen.

Tony: Namen von Antifaschist:innen, aber auch welche von Leuten, die eigentlich gar nicht politisch aktiv sind, wurden plötzlich an Autobahnbrücken oder die eigene Hauswand gesprüht. Das ist wie ein öffentliches Outing. Das war schon heftig.

Was wollt ihr zum Schluss den Lesenden noch sagen?

Jakob: Es ist zwar wichtig, dass auf unsere Situation hingewiesen wird, aber noch mehr betroffen von rechter Gewalt sind BIPoC, denn die können sich nicht durch eine Veränderung ihres Handelns oder ihrer Kontakte der Gewalt entziehen. Das muss in Zwickau noch mehr öffentlich thematisiert werden. Für die Zukunft wünschen wir uns auch mehr Aufmerksamkeit dafür, dass wir mit unseren Initiativen stark sind und uns nicht einschüchtern lassen. In Zwickau gibt es auch viel Gutes, das mehr gezeigt werden sollte!

Tony: Ich merke das, wenn ich Bands von außerhalb zu Besuch habe. Die kommen mit einem diffusen Bild vom braunen Osten, wissen aber überhaupt nicht, was es hier alles an Initiativen und Orten gibt. Ich glaube, dieses Bild muss viel mehr nach Außen vermittelt werden. Insgesamt wünsche ich mir, dass sich die Leute hier klarer positionieren. Möglicherweise werden sie dafür angegriffen, aber das werden wir auch.

Isabel: Ich finde es auch schade, dass Zwickau so einen schlechten Ruf hat. Selbst Freundinnen aus dem Umland sagen mir, Zwickau sei ja eine ganze schöne Nazistadt. Es wird seine Zeit und viel Mühe brauchen, bis sich das ändert!