Unerkannte Nachbar:innen (III)

Zwischen Rassismus und Empowerment: Antworten aus der Realität auf Fragen zu einem Ressentiment und Gewalt: Gewalt und Selbstorganisierung

Jugendliche von Romano Sumnal stehen bei einem Workshop im Kreis

5. Gewalt

Antiromaismus ist gewalttätig und mörderisch. Romn:ja werden in Deutschland Opfer rassistischer Gewalt. Es gibt Brandanschläge auf Häuser, in denen überwiegend Roman:ja leben. Rassistische Gewalt im Wohnumfeld ist für die Betroffenen besonders dramatisch, weil man sich auch zuhause nicht mehr sicher fühlen kann. Wird das Zuhause gar zerstört, geht der Rückzugsort verloren. In Europa kommt es immer wieder auch zu antiromaistischen Protesten vor Vierteln, in denen viele Romn:ja leben, und sogar zu Pogromen, wie 2018 in der Ukraine (vgl. Heuß, 2018). Rom:nja und Sint:ezze organisieren sich gegen die Gewalt (vgl. Gruppe gegen Antiromaismus, 2014). Denn die Unterstützung durch die Mehrheitsbevölkerung und der Schutz durch den Staat fehlen häufig.

In Deutschland sind die pogrom-artigen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen 1992 besonders bekannt.

»Die katastrophalen Bedingungen vor und in der [Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber] verbanden sich mit Blick auf die rumänischen Roma zudem mit tradierten, rassistischen Vorurteilen der deutschen Bevölkerungsmehrheit. Die seit Monaten aufgeheizte Stimmung wurde zudem von rechten Parteien und Initiativen befeuert. Im August griffen hunderte Gewalttäter*innen die Gebäude mit Steinen und Brandflaschen an: über Tage hinweg, medial begleitet und exekutiv nahezu ungehindert. Tausende Anwohner*innen unterstützten und bejubelten die Angriffe.« (Dokumentationszentrum »Lichtenhagen im Gedächtnis«, o.D.)

Bei den rassistischen Terroranschlägen auf eine Shisha-Bar in Hanau 2020 und am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München im Juli 2016 waren Rom:nja unter den Opfern. Neben Antiromaismus werden Romn:ja Opfer dieses breiten Rassismus. Angriffe und Anschläge betreffen die Minderheiten emotional und im Alltag.

Die organisierte Roma-Community ist gut vernetzt, daher werden Angriffe schnell bekannt und bereiten vielen große Sorgen. Deswegen sprechen viele Romn:ja nicht über ihre Herkunft. »Soll ich sagen, dass ich ein Rom bin oder suche ich mir eine andere Nationalität, die mir die Möglichkeit gibt, mich zu verstecken?«

Rom:nja werden zudem häufig Opfer staatlicher Gewalt, etwa durch die zwangsweise Räumung und Zerstörung von improvisierten Siedlungen. So hat der Französische Staat in den letzten Jahren immer wieder Camps von Romn:ja geräumt und sie damit obdachlos gemacht (vgl. Amnesty International, 2015). Im Zuge dieser Räumungen aber auch im Rahmen von Racial Profiling erleben Rom:nja Polizeigewalt.

Rom:nja werden also einerseits Opfer rassistischer Gewalt, die sich gegen Minderheiten und Personen mit Migrationserfahrung richtet. Sie sind außerdem von einer spezifischen antiromaistischen Gewalt betroffen. Deren Form spiegelt die antiromaistischen Stereotype wider: So werden nicht selten Häuser oder ganze Nachbarschaften angegriffen. Das sind keine Angriffe auf Einzelpersonen, sondern auf eine Gruppe und ihre vermeintliche Lebensweise. Dies passt zur Zustimmung, ein Problem damit zu haben, »wenn sich Sinti und Roma in meiner Gegend aufhalten«. Die Angreifer:innen versuchen aus dieser Drohung Realität zu machen. Romn:ja und Sint:ezze erhalten kaum staatlichen Schutz.

»Meine Oma ist Roma!«

Die Gewalt zeigt einerseits wieder die soziale Dimension des antiromaistischen Denkens: Armut, Kriminalität, Unordnung. Deutlich wird aber auch die kulturalistische, nationalistische Dimension: Rom:nja gelten als Fremde. Die alte Forderung der NPD »Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma«, ergibt in all ihrer Menschenverachtung nur einen Sinn, wenn Rom:nja als Fremde der eigenen Oma gegenübergestellt werden – als könnte die Oma nicht gleichzeitig Romni sein.

Roma gelten als Fremde in allen europäischen Nationalstaaten. Wir können gar nicht über Antiromaismus schreiben, ohne die Perspektive von Deutschland auf Europa zu lenken. Das hat mit den Migrations- und Fluchtgeschichten der Rom:nja zu tun, aber auch mit der europaweiten Verbreitung des Antiromaismus. Obwohl Rom:nja und Sint:ezze seit Jahrhunderten in Europa (bzw. in Deutschland) leben, gelten sie als Fremde und Zugezogene, denen mindestens mit Argwohn begegnet wird. So sehr sich Deutsche nationalistisch von Bulgar:innen abheben wollen, beide können sich schnell einig werden, wenn es um »die Roma« geht. Widerspricht man antiromaistischen Kommentaren, ist eine häufige Antwort: »In anderen Ländern will auch niemand diese Leute.« (Vgl. Eitel, 2014, S. 41ff.)

In der deutschen Geschichte hatte die Gewalt gegen Rom:nja und Sint:ezze immer einen festen Platz. Die Nationalsozialist:innen verfolgten und ermordeten Hunderttausende. Auf den Porrajmos, die fehlende Anerkennung des Leides und die Abwehr von Schuld und Verantwortung können wir hier nicht ausführlich eingehen. Doch für den heutigen Kontext ist es notwendig zu wissen, dass millionenfache rassistische Untersuchungen, Zwangssterilisation, Folter und der Völkermord ungestraft blieben, kaum Platz in den Gedanken der Mehrheitsbevölkerung finden und noch nicht einmal materiell entschädigt wurden (vgl. Wippermann, 2012).

ein Rom trägt die Fahne der Roma in Auschwitz
Romano Sumnal beim Gedenken in Auschwitz.

Diese Gewalterfahrung ist Überlebenden und Nachkommen präsent, auch wenn es die Nachkommen der Täter:innengeneration vergessen, verdrängen oder nie erfahren (vgl. Eitel, 2016). Viele Rom:nja kämpfen um würdige Erinnerung, Entschädigung und volle Rechte für eine lange verfolgte Minderheit. In der BRD war die Forderung nach Herausgabe nationalsozialistischer Akten ausschlaggebend für die Selbstorganisation, damals besetzten Aktivist:innen die Universtität Tübingen (vgl. Groß, 1981). Um für Bleiberecht zu kämpfen, besetzten Aktivist:innen außerdem die Gedenkstätte des KZ Neuengamme (vgl. Hassel, 1989).

Massive strukturelle Diskriminierung, Ungleichheit sowie Gewalt und (Wissen um) Verfolgung führen dazu, dass viele Rom:nja ihre Identität nicht preisgeben. Doch sie führen auch zu Solidarität und Selbstorganisierung.

6. Selbstorganisierung

»Viele Roma sagen nicht, dass sie Roma sind. Ein Teil war stolz darauf, Jugoslawe zu sein. Heute bist du mazedonische Romni, das ist kompliziert zu erklären. Die Selbstorgansierung ist der Ort an dem wir aussprechen, dass wir Roma sind, und zwar mit Stolz!«, heißt es bei Romano Sumnal. Der Verein hat für Jugendliche und Erwachsene einen Ort in Leipzig geschaffen, wie es in anderen Städten viele weitere Selbstorganisierungen tun. Die Jugendlichen haben eine Hip-Hop Band und schreiben ihre Texte auf Romanes, sie sind sehr selbstbewusst Rom:nja. Außerdem haben sie ein Theaterstück geschrieben, einstudiert und aufgeführt. Die Selbstorganisierung stärkt Jugendliche der Minderheit, aber es kommen auch andere Jugendliche – Freundschaften entstehen.

Rom:nja in Deutschland kommen aus ganz Europa. Daher ist der Verein quasi europaweit informiert. Es spielt keine Rolle, ob jemand Rom aus Serbien, Rumänien oder Mazedonien ist. Früher hat Romano Sumnal oft Rom:nja bei Arztbesuchen unterstützt, aber auch Gadje (Romanes für Menschen, die keine Rom:nja sind) aus Mazedonien und Serbien. Leute kommen, wenn sie etwas nicht gut verstanden haben. Bei Briefen von Behörden ist die Amtssprache oft schwer zu verstehen.

Mitglieder von Romano Sumnal sprechen bei Unteilbar in Dresden. Sie halten eine Romafahne auf der bühne, Kinder sind dabei.
Mitglieder von Romano Sumnal sprechen bei unteilbar in Dresden.

Die Jugendlichen wollen die Mehrheitsgesellschaft informieren und aufklären über Kultur und Sprache der Rom:nja. Wer sind Rom:nja? Romano Sumnal war in Schulen, da haben die Jugendlichen von sich selbst erzählt und waren begeistert. Rom:nja haben eine breite Kultur mit sehr alter erhaltener Sprache. Die Jugendlichen haben sehr unterschiedliche Dialekte im Romanes und verständigen sich.

Nach dem Nationalsozialismus wurde wenig über Sint:ezze und Rom:nja gesprochen oder sogar verschwiegen. Die Mehrheitsgesellschaft hat immer noch dieselben Vorurteile in den Köpfen. Es wurde nicht verarbeitet und daher bleiben dunkle Schatten. Es ist endlich die Zeit gekommen, darüber offen zu sprechen.

»Roma« soll kein Synonym für Armut, Kriminalität und Negatives mehr sein. Daher ist es wichtig, mehr von der kulturellen Vielfalt zu zeigen: Literatur; Film, Bildende Kunst, Wissenschaft und Musik von Rom:nja kann helfen, dieses Bild zu überwinden. Dadurch kann Anerkennung gestiftet werden. Es braucht mehr Repräsentation von Rom:nja in den Medien statt stereotyper Berichterstattung.

ZUM BEGINN DES ARTIKELS

Literatur des gesamten Beitrags

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