(UN)SICHTBAR #2 Kolonialismus im Alltag

Kolonialismus und Kolonialität sind bis heute relevant, eine Auseinandersetzung damit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dass dabei eine historische Aufarbeitung, ein globaler Wissensaustausch und sozialpsychologischer, künstlerischer und politischer Aktivismus Hand in Hand gehen müssen, wird in dieser Veranstaltung deutlich. Auch in der zweiten Veranstaltung ist der Raum mit 120 Gästen gut gefüllt.

In einer kurzen Ansprache unterstreicht die Direktorin der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen Nanette Snoep die Aktualität und Wichtigkeit der postkolonialen Auseinandersetzung sowohl für Museen, deren Sammlungen zu einem großen Teil aus der Kolonialzeit stammen, als auch darüber hinaus. Erst allmählich würden wir uns all dieser sichtbaren und unsichtbaren kolonialen Spuren bewusst. Während wir mit dieser Veranstaltungsreihe in Leipzig noch ganz am Anfang stehen, würden postkoloniale Debatten in ihrem Herkunftsland Holland sowie während ihrer Arbeit beim Aufbau des Musée du Quai Branly in Paris mit viel mehr Nachdruck und Schärfe geführt.

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Wesentlich zum Anstoß der erst allmählich stattfindenden gesellschaftlichen Aufarbeitung des Deutschen Kolonialismus und Kolonialrassismus beigetragen hat die Bewegung Schwarzer Menschen in Deutschland. Katharina Oguntoye hat in den 80er Jahren durch ihre historische Aufarbeitung der Geschichte Schwarzer Deutscher seit 1884 und der Herausgabe des mittlerweile als „Gründungsdokument“ der Bewegung sehr wichtig gewordenen Buches „Farbe bekennen“ großen Anteil daran.
In ihrem Input geht sie auf die fehlende Aufarbeitung ein, weshalb immer noch wenige Menschen in Deutschland überhaupt die Eckdaten des Deutschen Kolonialismus kennen. Dies offenbart auch eine kurze Umfrage im gut gefüllten Saal. In den letzten 30 Jahren seien zwar einige der Themen und Kämpfe der Schwarzen Bewegung im Mainstream angekommen, jeder Thematisierung folge allerdings erst einmal eine Abwehrreaktion, da es vielen Menschen schwer fällt den Rassismus und den kolonialen Hintergrund der deutschen Gesellschaft anzuerkennen. Hier empfiehlt sie die philosophische Botschaft des Sankofa-Symbols aus Westafrika, ein zurückschauender Vogel, der das Anerkennen der Vergangenheit und das Lernen daraus für eine bessere Zukunft versinnbildlicht.
Die Konfrontation mit dem alltäglichen Rassismus ist für die schwarze Community in Deutschland dagegen alltäglich und auch wegen ihrer Unsichtbarkeit für die Mehrheitsgesellschaft traumatisch. Um mit diesem kolonialen Trauma umzugehen, sind Katharina Oguntoye die psychosozialen aber auch künstlerisch-kulturellen Angebote ihres Vereins Joliba (http://www.joliba-online.de) in Berlin so wichtig.

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Sebastian Garbe stellt in seinem Vortrag heraus, dass Kolonialismus und Kolonialität auch in Deutschland als aktuelle gesamtgesellschaftliche Probleme verstanden werden müssen. Postkoloniale und dekoloniale Theorien versteht Sebastian Garbe mit Sousa-Santos als „Epistemologien des Südens“, womit eine Anerkennung der Perspektive derjenigen gemeint ist, die historisch auf der Seite der durch den Kolonialismus Ausgebeuteten stehen. Die Anerkennung dieses Wissens beinhalte das Streben zu einem global gleichberechtigten Wissensaustausch mit dem Ziel einer emanzipatorischen sozialen Transformation.

Sebastian Garbe stellt anschließend die lateinamerikanische dekoloniale Theorie im Anschluß an Anibal Quijanos Konzept der Kolonialität der Macht vor. Das Konzept der Kolonialität erlaubt es Machtverhältnisse, die im Kolonialismus entstanden sind über die Epoche des historischen Kolonialismus hinaus analysieren zu können. Zentral dabei ist, Kolonialismus und Kapitalismus immer zusammen zu denken. Die soziale Klassifikation der Bevölkerung um das Konstrukt der Rasse, was wir heute als Rassismus fassen, diente dem Zuordnen verschiedener Bevölkerungsgruppen zu verschiedenen Formen der Produktion für den kapitalistischen Weltmarkt in einer globalen Arbeitsteilung. Kolonialität wirke immer auf verschiedenen Ebenen und so sind koloniale Beziehungen auch Mikroverhältnisse, die bis heute, weit über die koloniale Epoche hinaus weisen. Ein Beispiel dafür ist das von Katharina Ogontuye erwähnte racial profiling.

Im zweiten Teil des Inputs geht Sebastian Garbe auf dekoloniale Kämpfe in Lateinamerika und Deutschland ein. In Lateinamerika finden Auseinandersetzungen um Kolonialität auch in aktuellen gesellschaftlichen Kämpfen, wie beispielsweise in Landkonflikten statt. Zentrale Akteure sind hier beispielsweise Indigenenbewegungen, die in Europa durch die Zapatistas in Mexico bekannter geworden sind.
Als dekoloniale Kämpfe sehe er in Deutschland beispielsweise die Arbeitskämpfe von Gastarbeitern und die heutigen Bleiberechtskämpfe Geflüchteter, aber auch die Postkolonial-Gruppen in verschiedenen deutschen Städten, die geschichts- und erinnerungspolitische Fragen sowie akademische Debatten aufwerfen. Sowohl in Lateinamerika als auch Deutschland finden sich positive und negative Beispiele der postkolonialen Auseinandersetzung auch in den Museen.

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In der weiteren Diskussion geht es um Fragen inwieweit historisches Wissen über Kolonialismus notwendig ist um Rassismus zu begegnen, was Solidarität bedeutet und was eher nicht, was die Gefahren eines rechten Backslashs sind und was uns die 50er Jahre lehren sollten.

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Empfehlungen zum Weiterlesen und Hören:
Prekäre Subjekte - Die afrikanische Diaspora in Deutschland vom 18. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus“ ein Artikel von Katharina Oguntoye (2009): http://www.freiburg-postkolonial.de/Seiten/2009-Oguntoye-afrikanische-D…
Schwarze Menschen sind immer noch unsichtbar“ Interview mit Katharina Oguntoye am  21.1.2017 in der TAZ:  http://www.taz.de/!5373455/
Sämtliche Publikationen von Sebastian Garbe: https://uni-giessen.academia.edu/SebastianGarbe