Lausitzer Revier: Viel Geld und schlechte Kohle

Vom Nebenerwerb vor 200 Jahren bis zum Milliarden-Business von heute – im Osten Sachsens wird der Abbau noch immer für Jahrzehnte geplant.

Im Lausitzer Braunkohlerevier liegen in vier übereinanderliegenden Flözkomplexen 11,8 Milliarden Tonnen Braunkohle. Davon sind 3,3 Milliarden mit derzeitiger Technik erschließbar; für 1,5 Milliarden Tonnen gibt es eine Abbaugenehmigung. Abgebaggert werden der 1. und 2. Flözkomplex, die in 20 bis 40 und 60 bis 120 Metern Tiefe liegen. Sie sind 3 bis 16 Meter mächtig. Die Rohbraunkohle hat einen Heizwert von 7,3 bis 9,1 Megajoule pro Kilogramm und einen Wassergehalt von 48 bis 58 Prozent. Zum Vergleich: Die im westfälischen Steinkohlebergwerk Ibbenbüren abgebaute hochwertige Anthrazitkohle hat einen Brennwert von 36 Megajoule pro Kilogramm bei einem Wassergehalt von nur drei Prozent. Weiter enthält die sächsische Braunkohle 0,3 bis 1,5 Prozent Schwefel. Erst durch die Verarbeitung und Trocknung zu Briketts oder Kohlenstaub steigt der Heizwert auf rund 20 Megajoule pro Kilogramm. Bei der Verbrennung entsteht Schwefeldioxid, das heute mithilfe moderner Rauchgasentschwefelungsanlagen zu 90 Prozent abgeschieden und beispielsweise als Gips weiterverwendet werden kann. Vor dem Einsatz der Entschwefelungsanlagen war Schwefeldioxid Hauptursache für die Entstehung des „sauren Regens“.

1789 wurde die erste Braunkohle in Lauchhammer entdeckt. Der Ort in der Niederlausitz gehörte damals zu Sachsen und liegt heute im südlichen Brandenburg. Der Abbau in wenigen offenen Gruben geschah im Nebenerwerb. Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Abbaubetriebe schnell zu. Nach einer kurzen Episode unterirdischen Abbaus Ende des Jahrhunderts entstanden großräumige oberirdischen Tagebaue mit systematischer Förderung. 

Die Industrialisierung des Deutschen Reichs und zwei Weltkriege ließen den Kohlebedarf und die Zahl und Größe der Abbaugebiete erheblich steigen. Auch die DDR setzte auf den „heimischen Energieträger“ Braunkohle. Zwischen 1950 und 1989 deckte die Braunkohle – mit fallender Tendenz – zwischen 90 und 65 Prozent des Primärenergieverbrauchs ab. Die Kohle wurde von den Braunkohlekombinaten Bitterfeld (Mitteldeutsches Revier) und Senftenberg (Lausitz) in 17 beziehungsweise 18 Tagebauen abgebaut. Entweder wurde die Rohbraunkohle direkt vor Ort verstromt oder in einer der 51 Brikettfabriken veredelt und dann in Industrie, Haushalten, Kraftwerken oder für den Export genutzt.

Erst Wende und Wiedervereinigung 1989/90 führten zu einer dramatischen Gegenbewegung: Wurden 1988 noch 200 Millionen Tonnen gefördert, waren es zehn Jahre später nur noch 50 Millionen. Seitdem steigen die Fördermengen wieder. Die neuen Umweltstandards im vereinigten Deutschland, der Zusammenbruch der DDR-Industrie und die neue Verfügbarkeit von Erdgas und Erdöl führten zu einer abrupt verminderten Nachfrage. Bis 1997 schlossen sechs Braunkohlekraftwerke und allein in der sächsischen Lausitz die sechs Tagebaue Bärwalde, Berzdorf, Lohsa, Olbersdorf, Bluno/Spreetal und Scheibe. Übrig geblieben sind vier Tagebaue: Jänschwalde und Welzow in Brandenburg sowie Nochten und Reichwalde in Sachsen.

Gleiches spiegelt sich in der Zahl der Arbeitsplätze wider. 1989 gab es noch 79.000 Beschäftigte in der Lausitzer Braunkohlewirtschaft; 2015 verblieben 8.300, davon fast 700 Auszubildende und rund 400 Beschäftigte beim staatlichen Sanierungsträger LMBV, der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft. Vattenfall hatte 2014 in Sachsen in allen Geschäftsfeldern 2.900 Beschäftigte. Zum Vergleich: In den beiden Braunkohle-Landkreisen Bautzen und Görlitz leben aktuell rund 565.000 Menschen, von denen 229.000 angestellt, 27.000 marginal beschäftigt und 31.000 selbstständig sind. Im Geschäftsbereich Braunkohle arbeiten also nur rund 1,1 Prozent der Beschäftigten beider Landkreise. Durch die bisherigen Tarifverträge verdienen Kohlearbeiter weit besser als im Landkreisdurchschnitt, Grund für ihr Festhalten an diesen Arbeitsplätzen. Doch 2020 muss neu verhandelt werden. Die zahlreichen Bergbau-Subunternehmer bekommen bereits jetzt den Preisdruck zu spüren.

Die Wende bedeutete zunächst auch eine Wende in den Eigentums- beziehungsweise Betreiberverhältnissen. Das volkseigene Braunkohlekombinat Senftenberg und weitere Betriebe wurden 1993 zur LAUBAG, der Lausitzer Braunkohle AG. 2002/03 übernahm der schwedische Staatsbetrieb Vattenfall mit der Vattenfall Europe AG das Braunkohlegeschäft und gründete je eine Tochtergesellschaft für den Bergbau- und den Kraftwerksbetrieb. 2013 brachen die Gewinne bei Vattenfall ein, und ab 2014 versuchte das Management, die Braunkohlesparte abzustoßen. 

Sie geht schließlich im September 2016 mitsamt rund 8.000 Beschäftigten an die Investoren EPH und PPF Investments aus Tschechien. Die Käufer erhielten Anlagen im Wert von 3,4 Milliarden Euro und zusätzlich 1,7 Milliarden Euro Barmittel. Ihre neue Dachmarke heißt LEAG und gilt für eine Kraftwerks- und eine Bergbaugesellschaft. Deren Muttergesellschaft ist eine GmbH mit Sitz in Cottbus und rund 20 Beschäftigten.

Bis heute gibt es Planungen für den Neuaufschluss oder die Erweiterung von Tagebauen in der Region. Die Projekte heißen Welzow-Süd II und Nochten II in Sachsen, Jänschwalde-Nord, Spremberg-Ost und Bagenz-Ost in Brandenburg und Gubin-Brody in Polen. Im Frühjahr 2017 gab die LEAG bekannt, dass sie die Pläne für Jänschwalde-Nord endgültig aufgegeben und die Planungen für Welzow-Süd II zurückgestellt habe. Zudem kündigte sie an, statt des gesamten Feldes Nochten II nur noch das Sonderfeld Mühlrose mit rund 150 Millionen Tonnen Braunkohle in Anspruch zu nehmen. 

Gegen das Gesamtvorhaben Nochten II hat sich ein Klagebündnis aus betroffenen Privatpersonen, Bürgerinitiativen und Umweltverbänden gebildet, das aller Voraussicht nach auch gegen das Sonderfeld Mühlrose aufrechterhalten wird. Für den Tagebau Nochten wurden allein seit 2000 vier Naturschutzgebiete weggebaggert. Weitere Biotope sind durch die Grundwasserabsenkung und die Einleitung bergbaubeeinflussten Wassers beeinträchtigt. 

Die letzte norddeutsche Flachlandpopulation des Birkhuhns ist verschwunden. Ausgerottet ist zudem der Eremit, anderswo als Juchtenkäfer bekannt. Mit den beiden europaweit naturschutzrechtlich und -fachlich bedeutenden Arten sind weitere teilweise einzigartige und nicht wiederherstellbare Lebensräume und Populationen untergegangen. Die Artenschutzmaßnahmen, mit denen Fortpflanzungs- und Ruhestätten gesichert werden sollten, waren von Anfang an untauglich. 

Nicht nur Naturschutzgebiete wurden zerstört, sondern die Orte Tzschelln vollständig und Mühlrose bislang teilweise abgebaggert. 195 Menschen haben dort bereits Haus und Heimat verloren, für das Sonderfeld Mühlrose werden weitere rund 200 Menschen hinzukommen. Im benachbarten Tagebau Reichwalde waren es 50 Menschen. Seit in der Lausitz Braunkohle angebaut wird, wurden 82 Ortschaften ganz und 40 Orte teilweise zerstört – und mehr als 16.000 Menschen umgesiedelt.

 

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