Was aus der neuen "Mitte"-Studie für die politische Kommunikation folgt

Die Befunde der neuen Leipziger "Mitte"-Studie stellen politische Akteur/innen vor eine Aufgabe: Sie besteht darin, Menschen in einer polarisierten Gesellschaft mit klaren Angeboten für eine plurale und solidarische Politik zu gewinnen.

Die Leipziger „Mitte“-Studie 2016 „Die enthemmte Mitte - Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland“ überrascht auf den ersten Blick: Hinsichtlich der Verbreitung von klassisch rechtsextremen Einstellungen weist die aktuelle Erhebung nur geringfügige Veränderungen zur Vorgängerin im Jahr 2014 auf. Die Antworten auf Fragen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zeigen eine Abnahme generalisierter Vorurteile.

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Gleichzeitig sind ablehnende Haltungen gegenüber Asylbewerber/innen, Muslimen und Sinti und Roma gewachsen.

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Die völkisch-rassistische Rechte formiert sich neu. Die Befragung belegt eine stärkere Bereitschaft, sich zu antipluralistischen und autoritär-völkischen Gesellschaftsvorstellungen zu bekennen. „Ich bin rechts“ ist kein Stigma mehr und wird zur Selbstbeschreibung selbstbewusst genutzt. Mit der AfD hat dieser Teil der Gesellschaft, der offensichtlich relativ stabil in seinen Einstellungen ist, einen Katalysator und eine politische Ausdrucksform gefunden. Er ist dadurch sichtbarer geworden und handelt offen.

Die jüngsten Veränderungen im Parteiensystem mit den Wahlerfolgen der AfD scheinen weniger mit einem Anstieg fremdenfeindlicher und autoritärer Einstellungen in der Gesellschaft erklärbar. Sie sind vielmehr auf das Auftreten eines neuen politischen Akteurs zurückzuführen, der rechte Einstellungen enttabuisiert und öffentlich vertretbar macht.

Die Polarisierung der gesellschaftlichen Mitte

Zudem lässt sich eine Polarisierung der gesellschaftlichen "Mitte" ablesen: Der Teil mit rechtsextremen und autoritären Einstellungen radikalisiert sich; antipluralistische, völkische Gruppen sind sichtbarer geworden. Gleichzeitig lässt sich in der "Mitte" aber auch eine Zunahme der demokratischen Einstellungen nachweisen.

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Große Teile der Befragten finden jedoch keine klare Haltung zu rassistischen Phänomenen. Deutlich wird das zum Beispiel an der Einstellung zu den *Gida-Bewegungen: Knapp die Hälfte der Deutschen (45,3 Prozent) positioniert sich zwischen den beiden Polen – zwischen dem Teil, der die Ziele von Pegida überhaupt nicht befürwortet - und dem kleineren, der diese Ziele vollkommen teilt.

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Positiv gewendet könnte man diese „Mitte“ auch als offenes Feld beschreiben - und damit als besondere Chance und Herausforderung für die politische Kommunikation: Diese „Mitte“ (die schwankend oder nicht wählt) zu gewinnen, heißt nicht, sich als Partei und politische Akteur/in selbst in eine unklare „Mitte“ zu begeben. Es stellt uns vor die Aufgabe, die Menschen zwischen den Polen mit klaren Angeboten für eine plurale, emanzipatorische und solidarische Politik zu gewinnen.

Die Ablehnung gegenüber einzelnen Gruppen – Muslime, Geflüchtete, Sinti und Roma – ist in seiner Dimension alarmierend und reicht bis weit in die Bevölkerungsteile, die sich selbst als Mitte oder links beschreiben.

Mögliche Antworten grüner Politik

Die hohe Zustimmung zu autoritären Gesellschaftsformen, eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem realen Wirken von Demokratie und die Abwertung sozial schwacher Gruppen sind nicht allein aus der sozioökonomischen Situation zu erklären. Offensichtlich führt ein Komplex aus ungerechter ökonomischer Teilhabe, politischer Exklusionen und Verunsicherungen in Bezug auf soziale Zugehörigkeit in der globalisierten Moderne zu antimodernen, antipluralistischen und völkisch-nationalistischen Affekten. Die Entwicklung starker Institutionen der sozialen Absicherung, der ökonomischen und politischen Teilhabe und eine deutliche Kommunikation zu diesen Themen sind mögliche Antworten grüner Politik.

Als politische Stiftung nehmen wir es angesichts des sinkenden Vertrauens in Parteien und politische Institutionen als unsere besondere Aufgabe an, hier weiter Veränderungs- und Entwicklungsvorschläge zu machen.

Auch für die besondere Situation in Sachsen gibt uns die Studie einige Hinweise. Die Zahlen machen deutlich, dass die *gida-Gruppen keine Sammlung besorgter oder vorrangig sozioökonomisch abgehängter und prekärer Menschen sind. Die vorrangigen Motive sind ein völkisches, antipluralistisches Weltbild und ein starker antimuslimischer Rassismus. Die Auseinandersetzung ist deshalb im politischen Raum zu suchen und nicht in entpolitisierten Dialogen und psychotherapeutischen Ansätzen.

Die “Mitte"-Studien der Universität Leipzig werden seit 2002 von einer Arbeitsgruppe um Elmar Brähler und Oliver Decker durchgeführt. Sie sind eine Langzeitbeobachtung für die politische Diskussion und Bildungsarbeit, die autoritäre und rechtsextreme Einstellungen im Zeitverlauf abbildet. Die aktuelle "Mitte"-Studie entstand in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung.