Salon Surveillance - Das Volk Zählen

Analyse und Kritik des EU-Zensus 2011

Salon Surveillance 04/2010

Fünf Fragen und fünf vorläufige Antworten:

1. Wozu braucht man eigentlich eine Volkszählung?

Um diese grundsätzliche Frage zu klären, finden wir in der politischen Ideengeschichte mindestens vier Ansätze. Einer der frühesten ist der von Jean Bodin in seinen „Sechs Büchern über den Staat“ (1583). Bei ihm hieß die Volkszählung noch „Zensur“; er unterschied sie vom „Zensus“, einem Verfahren zur Bestimmung der individuellen Steuerlast (diese letztere Bedeutung ist auch in dem Begriff „Zensuswahlrecht“ enthalten). Bodin also schrieb:

„Einer der größten Vorteile der Zensur besteht darin, daß man erkennen kann, von welchem Stand und von welcher Herkunft jemand ist und welcher Tätigkeit er nachgeht. Dadurch kann man alle Wespen vertreibben, die den Honig der Bienen verschwenden, und die Vagabunden, Faulenzer, Diebe, Falschspieler und Kuppler verbannen, die unter guten Bürgern wie Wölfe und Schafe leben. Man kann sie herausfinden und brandmarken. […] Nur der Zensor kann dieses Ungeziefer verjagen.“i

Bodin kannte noch keine „Bevölkerung“ im modernen Sinne. Er hatte aber erkannt, dass Volkszählungen ein Wissen erzeugen, dass eine staatspolitische Relevanz hat. Dieses Wissen konnte Grundlage für umfassende Bewirtschaftung des Landes und seiner Bewohner sein.

Etwa zweihundert Jahre später entdeckte Jean Jaques Rousseau, dass das Wissen um die Vermehrung oder Verminderung der Menschenzahl in einem Land eine kontrollierende Funktion haben konnte. Seine Frage war, wie man erkennen könne, ob eine Regierung oder auch Regierungsform „gut“ sei. Die Antwort:

„Ist alles übrige geich, dann ist diejenige Regierung unfehlbar die bessere, unter der sich die Bürger ohne fremde Mittel […] ausbreiten und vermehren: diejenige, unter der ein Volk weniger wird und abnimmt, ist die schlechtere. Statistiker, jetzt seid ihr dran: zählt, messt und vergleicht.“ii

Dahinter stand zum einen eine aufklärerisch-rationalistische Idee, die Vorstellung, dass wissenschaftlich objektive, mathematisch operationalisierbare Parameter Parteienstreit überflüssig machen würden. Auch konnte dieses Wissen unter Umständen gegen die Regierung, gegen den Staat gewendet werden. Zum anderen unterlag Rousseau dem kameralistischen Verständnis, dass die Menschen eines Landes eine ebensolche Resssource darstellten wie Bodenschätze, die Ackerfläche und Verkehrswege. Eine steigende Einwohnerzahl mehrte also den Reichtum des Landes, seiner Bürger und gegebenenfalls ihres Oberhaupts. Schon vierzig Jahre später versetzte Thomas Robert Malthus diesem landesgärtnerischen Idyll einen herben Schlag, indem er quasi die ‚Grenzen des Wachstums‘ proklamierte: Während die Menschenvermehrung in geometrischer Progression vor sich gehe, ließe sich die Nahrungsmittelproduktion maximal nur linear steigern. Außerdem seien es vonehmlich die unteren Klassen, die sich am stärksten fortpflanzten und so ihre eigene Not noch verschlimmerten.iii

Gute Regierungskunst, so ließ sich schlussfolgern, zeigte sich fortan nicht mehr an dem einfachen Anwachsen der Zahl der Köpfe, sondern daran, wie es gelang, diesen Prozess sinnvoll, das heißt vor allem ökonomisch, zu regulieren: Nahrungsmittelknappheit und Seuchen zu vermeiden, die „Dichtigkeit“ in den Städten zu mildern, durch Heiratsgesetze die Vermehrung der einzelnen Klassen zu steuern usw. Die „Bevölkerung“, so hat Michel Foucault festgestellt, wurde im neunzehnten Jahrhundert zum Gegenstand der liberalen, ökonomistischen Regierungsrationalität. Sie ist die Essenz moderner Staatlichkeit.iv Allerdings ist so eine Bevölkerung nicht einfach da; sie muss zunächst einmal statistisch ‚hergestellt‘ werden. Das Instrument dazu ist die Volkszählung, eine quantitative Aggregation der auf einem begrenzten Territorium (z.B. dem Staatsgebiet) lebenden Menschen, an die sich in einem zweiten Schritt immer eine Fraktionierung – entsprechend der administrativen Wissenserfordernisse – anschließt. Die Funktion der Volkszählung ist also die instrumentelle Reproduktion moderner (National-)Staatlichkeit. Da sich das Volk heutzutage auch anders zählen ließe als mit einer totalen Erfassung im Zehn-Jahres-Turnus lässt sich vermuten, dass – intendiert oder nicht – mit dem Zensus 2011 auch eine symbolische Reproduktion von Staatlichkeit verbunden ist.

Der vierte Ansatz stammt von der Bundestagsabgeordneten Kristina Köhler, die für die CDU/CSU bei der Beratung des Zensusgesetzes 2009 folgendes zu Protokoll gab:

„Mit Stichtag 3. November 2008 gab es 12.987.543 Rindviecher in Deutschland, davon 632 in Berlin. Wir wissen also genau, wie viele Rindviecher welchen Alters wo in Deutschland leben. Wenn wir jedoch genau wissen wollen, wie viele Menschen in Deutschland leben, dann müssen wir leider feststellen, ,nichts Genaues weiß man nicht‘. Es gibt keine exakten Daten über Umfang und Zusammensetzung der Bevölkerung in Deutschland. […] Ein solides Datenmaterial ist […] die Voraussetzung für gute Politik. Wir können die notwendigen Veränderungsprozesse nur dann gestalten, wenn wir über ein angemessenes Bild der Wirklichkeit unserer Gesellschaft verfügen.“v

Das ist auch die offizielle Argumentation der amtlichen Statistiker und der Bundesregierung, um den anstehenden Zensus 2011 zu begründen. Das „angemessene Bild der Wirklichkeit“ sei nicht mehr verfügbar, weil die letzten Volkszählungen 1987 (BRD) beziehungsweise 1981 (DDR) stattgefunden haben. Seitdem wurden die Bevölkerungsdaten auf dieser Grundlage „fortgeschrieben“. Je länger man das macht, desto ungenauer werden die Angaben. Und dies umso mehr, je kleiner die Erhebungseinheiten sind (wobei andererseits durch die kommunalen statistischen Ämter recht detaillierte Zahlen für die jeweiligen Städte und Landkreise vorliegen, und zwar auf der Basis der Melderegister). Für Deutschland insgesamt wird erwartet, dass die Bevölkerungszahl nach der Auswertung des Zensus‘ etwa 1,3 Milliarden unter der bisherigen offiziellen Zahl liegen wird. Doch, wie gesagt: „Nichts Genaues weiß man nicht.“

Absolute Bevölkerungszahlen sind die Grundlage einer ganzen Reihe von Gesetzen und Entscheidungen: Gemeindestatus, kommunaler Finanzausgleich, Bund-Länder-Ausgleich, horizontaler Länderfinanzausgleich, Wahlkreise, Zusammensetzung des Europäischen Parlaments sowie Stimmenanteile bei Mehrheitsentscheidungen in der EU nach dem Lissabon-Vertrag. Die Volkszählung ist ein administratives und politisches Erfordernis.

2. Wozu eine europäische Volkszählung?

Der Zensus 2011 wird nicht von der EU durchgeführt, beruht aber auf einer EU-Verordnung, bestimmte bevölkerungsstatistische Angaben, die sich auf einen Stichtag im Jahr 2010 beziehungsweise 2011 beziehen, an die Statistikbehörde der EU, EUROSTAT, zu liefern. Eine solche EU-weite Zählung gab es auch schon im Jahr 2000; allerdings beruhte sie damals auf einem sogenannten „Gentlemen’s Agreement“ (und nicht auf einer Verordnung, deren Umsetzung für die Mitgliedstaaten verbindlich ist). Die Folge war, dass qualitativ wie inhaltlich äußerst heterogene Datensätze in Luxemburg angekommen sind, die ich auch noch auf unterschiedliche Erhebungsjahre bezogen und insofern nur schwer zu integrieren waren.

An die oben geäußerten theoretischen Annahmen anknüpfend, können wir auch sagen, dass im aktuellen Volkszählungsakt nach wie vor 27 europäische Bevölkerungen konstruiert werden. Die Bevölkerungsstatistik fällt nicht in die supra-nationalen Kompetenzen der Europäischen Union. Zudem zählen die einzelnen Mitgliedstaaten ihre Einwohner mit sehr unterschiedlichen Verfahren: In Frankreich gibt es einen „rollierenden Zensus“ (Teilgesamtheiten der Haushalte werden regelmäßigen, kurzen Abständen abwechselnd befragt); in den Niederlanden und Estland werden die Bürgerinnen und Bürger in zentralen Registern erfasst, die Zählung besteht dann in der Anfertigung eines Registerauszugs. Die Bundesrepublik hat bis 1987 mit einer Totalbefragung aller Haushalte an einem Stichtag gearbeitet. Der Zensus 2011 wird als registergestützte Volkszählung durchgeführt.

Die EU-Verordnung hat aber auch einen entscheidenden innenpolitischen Vorteil. Nach dem Volkszählungsprotest der Achtzigerjahre waren die antizipierten politischen Kosten für eine neue Zählung (etwa im Jahr 2000) zu hoch, als dass eine Bundesregierung dieses Projekt auf sich nehmen würde. Nun tritt die EU als externer Akteur auf; die Nichtumsetzung der Verordnung kann im Zweifel mit Sanktionen belegt werden. – Indes, es hat sich herausgestellt, dass diesem Punkt keine hohe Relevanz beigemessen werden muss, da von politisch schwergewichtigem Volkszählungsprotest bis Januar 2011 jedenfalls nichts zu erkennen gewesen ist.

3. Was ist ein registergestützter Zensus? Und was wird abgefragt?

Mit dem registergestützten Zensus probieren die Statistiker in der Bundesrepublik erstmals ein neues Erhebungsinstrument aus. Mit diesem Verfahren sollen vor allem die finanziellen Kosten geringer gehalten werden als bei einer Totalbefragung. Zudem kommt nur ein (wenig auch nicht gerade kleiner) Teil der Einwohnerinnen und Einwohner mit dem Zensus in direkten Kontakt, indem sie schriftlich oder mündlich befragt werden. Das könnte die angesprochenen politischen Kosten reduzieren.

Bevölkerungsstatistisch relevante Daten sind in verschiedenen Registern bereits erfasst, wenn auch für zuvörderst im engeren Sinne administrative Zwecke. Betreffende Behörden sind zum Beispiel:

  • die Einwohnermelderegister der Kommunen;

  • die Bundesagentur für Arbeit;

  • die Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes;

  • die Liegenschafts- und Katasterämter.

Alle diese Behörden liefern Registerauszüge mit bestimmten Erhebungs- und Hilfsmerkmalen an Statistische Landesämter beziehungsweise an das Statistische Bundesamt, wo sie mithilfe von individuellen Ordnungszahlen in einem zentralen Register verknüpft und dann ausgewertet werden sollen.

Darüberhinaus werden alle Besitzerinnen und Besitzer von Wohnungen befragt, Vermieter ebenso wie Eigenheimbauer, außerdem die Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnheimen, Anstalten usw. (oder „in sensiblen Bereichen die Verwaltungspersonen o.ä.).

Dann werden in einer Stichprobe maximal zehn Prozent aller Haushalte direkt befragt. Die Ergebnisse werden dann auf die Grundgesamtheit hochgerechnet. Schließlich soll es zur Qualitätsprüfung im Nachgang verschiedene Wiederholungsbefragungen geben. Es ist also davon auszugehen, dass ca. 25 Millionen Menschen in der Bundesrepublik für diesen Zensus direkt werden Auskunft geben müssen.

Der Merkmalskatalog beinaltet neben den üblichen bevölkerungsstatistischen Angaben (Alter, Geschlecht, Beschäftigungsverhältnis, Einkommen usw.), Informationen über Größe, Lage und Ausstattungen der Wohnungen sowie verschiedene Hilfsmerkmale.vi Dieser Katalog geht über die Anforderungen der EU hinaus, das heißt, es werden Informationen gesammelt, für die es in der bundesdeutschen Politik und Verwaltung ein spezifisches Interesse zu geben scheint. Ein Beispiel dafür ist das – allerdings freiwillige – „Bekenntnis zu einer Religion, Glaubensrichtung, Weltanschauung (sunnitischer Islam, schiitischer Islam, alevitischer Islam, Buddhismus, Hinduismus und sonstige Religionen, Glaubensrichtungen oder Weltanschauungen)“vii. Diesen Punkt wünschten insbesondere die Bundesländer aufgenommen zu wissen, vermutlich um ihre Integrationsbemühungen forcieren zu können. Jedenfalls wird es interessant sein zu sehen, was mit diesem Datum im öffentlichen Diskurs passiert.

4. Wie steht es um den Datenschutz?

Jene Volkszählung, die eigentlich 1984 stattfinden sollte, wurde durch eine wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1983 gestoppt. Die Richter hatten damals schwerwiegende datenschutzrechtliche Einwände geltend gemacht sowie vor allem das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ festgeschrieben.

Um beim Zensus 2011 ein solches ‚Fiasko‘, das in Wirklichkeit eine Stärkung der Abwehrrechte gegenüber einer alles wissen wollenden Staatlichkeit war, zu vermeiden, war der Gesetzgeber gezwungen, peinlichst genau auf die Einhaltung der Grundsätze des Datenschutzes zu achten. Entsprechend enthält das Zensusgesetz eine Reihe von Prinzipien und Vorkehrungen, die den Schutz personenbezogener Daten vor einer anderen als der vorgesehenen bevölkerungsstatistischen Nutzung gewährleisten sollen. Dazu gehören:

  • organisationale Trennung von statistischer und sonstiger (v.a. kommunaler) Verwaltung;

  • Rückführungverbot bereits aggregierter Datensätze auf die darunter liegende Ebene (so könnten vor allem Kommunen ein Interesse daran haben, die aus den verschiedenen Registern zusammengeführten Daten beispielsweise wieder blockweise auswerten zu können);

  • Verschwiegenheitspflicht insbesondere der Befragungspersonen;

  • Recht auf informationelle Selbstbestimmung: jede und jeder kann von den Behörden Auskunft über den Verbleib persönlicher Daten verlangen;

  • Löschung des Zentralregisters und der Hilfsmerkmale, sobald diese Informationen nicht mehr benötigt werden, spätestens aber nach vier Jahren.

Man braucht nicht viel Phantasie, um sich auszudenken, dass ein solches Zentralregister personenbezogener Daten Begehrlichkeiten wecken könnte, etwa wenn ein Terroranschlag oder ähnliches besondere Fahndungsmaßnahmen erfordert. Die vor einigen Jahren ventilierte (aber dann doch wieder verworfenene) Idee, Kameras, die zum Zwecke der Generierung von Mauteinnahmen auf den Autobahnen installiert worden sind, zur Verbrechensbekämpfung zu nutzen, ist ein Beispiel dafür.

Abgesehen davon, dass nicht abzusehen ist, ob die Daten des Zentralregisters überhaupt für Zwecke der Strafverfolgung geeignet sind, verhält es sich mit dem Zensusgesetz wie mit allen anderen auch: Nur weil es im Gesetz steht, ist es nicht automatisch Praxis. Einen ähnlichen Einwand haben auch die Autorinnen und Autoren der (erfolgslosen) Verfassungsbeschwerde gegen das aktuelle Zensusgesetz geäußert, außerdem ihr tiefes Misstrauen gegenüber der Verschwiegenheit der Zählerinnen und Zähler.viii Immerhin: Weil sie im Gesetz stehen, lassen sich die einzelnen Schutzrechte auch auf dem Rechtswege durchsetzen.

Ein anderes Argument wiegt schwerer: Der beste Datenschutz ist Datenvermeidung. Dieses Argument rührt aber an die Essenz der ganzen Volkszählung, und damit wären wir wieder bei der ersten Frage. Auf dem Verfassungsgerichtswege lässt sich das vermutlich nicht klären, wenn überhaupt, dann muss das politisch entschieden werden.

Bedenken gibt es bei den Zensuskritikern jedoch nicht nur gegenüber etwaigen Begehrlichkeiten des Staats, sondern auch in Bezug auf Zugriffsmöglichkeiten Dritter, etwa privater Unternehmen. Dies ist ein Punkt, der vor allem die IT-Sicherheit angeht, speziell bezüglich der Datenübermittlung über öffentliche Netze und der Datenspeicherung.

5. Kann man eigentlich dagegen sein?

Diese Fragestellung hat eine normative und eine praktische Dimension. Wenn die Volkszählung Teil einer Regierungstechnologie ist, die man möglicherweise ablehnt, und wenn Foucault Recht hat mit seinem Diktum, Kritik sei, sich nicht so regieren zu lassen, dann müsste man sich konsequenterweise dem Gezähltwerden verweigern. Dabei wird man aber auf eine Reihe praktischer Probleme stoßen: Gerade die Anlage als registergestützter Zensus ermöglicht es einem kaum, sich der Zählung zu entziehen (es sei denn, man ist in keinem der fraglichen Register erfasst).

Das Gesetz sieht eine Auskunftspflicht vor. Die Verweigerung der Auskunft kann mit einer Geldstrafe geahndet werden, für deren Eintreibung theoretisch auch eine Erzwingungshaft angeordnet werden kann. (Und schon wird man als Anstaltsinsasse gezählt.)

Ein traditionelles Mittel des Volkszählungsboykotts ist die bewusste Falschangabe (macht natürlich nur dann einen Sinn, wenn man sich zugleich der Illusion hingibt, mithilfe einer Volkszählung ließe sich ein absolut korrektes Abbild einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit herstellen). So hat bereits nach der 1855 im Königreich Sachsen stattgefundenen Volkszählung der Abgeordnete Riedel im Landtag bezüglich der Fragebögen festgestellt, „wie unvollkommen sie, mitunter vielleicht auch absichtlich, ausgefüllt worden waren“. Und weiter:

„Es hatte z.B. Einer auf die Frage, wieviel Eier seine Hühner gelegt hatten, eine Summe aufgestellt, wo nach der Zahl der Hühner mehrere hundert Eier auf eine Henne kamen; ich glaube, es waren mehr, als Tage im Jahre, und mehr anderer Unsinn ist noch vorgekommen.“ix

Letztlich steht nicht zu erwarten, dass die Bundesrepublik mit dem aus dem Zensus gewonnenen Wissen besser oder schlechter regiert oder verwaltet werden wird. Auch ist es weitgehend unerheblich, ob das Land 82 oder nur 80 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner hat. Und angesichts der Fülle von personenbezogenen Daten, die die meisten von uns privaten Unternehmen bereitwillig zur Verfügung stellen, verfängt die staatliche Datenzentralisierung zu statistischen Zwecken inzwischen nicht mehr so richtig.

Das interessantere Problem scheint mir nicht so recht in der Volkszählung zu liegen, sondern darin, was man damit später einmal in politischen Diskursen macht. Die eigentümlichen, oben gezeigten Kategorisierungen der religiösen Bekenntnisse liefert einen ersten Vorgeschmack.

 

i   Jean Bodin: Über den Staat; Reclam, Stuttgart 1976; S. 100f.

ii   Jean Jaques Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts; Reclam, Stuttgart 1977; S. 63f.

iii   Thomas Robert Malthus: Versuch über die Bedingung und die Folgen der Volksvermehrung; Altona 1807

iv   Michel Foucault: Sexualität und Wahrheit 1: Der Wille zum Wissen; Suhrkamp, Frankfurt/Main 1983. Vgl. auch Daniel Schmidt: Statistik und Staatlichkeit; VS, Wiesbaden 2005

v   Plenarprotokoll des Deutschen Bundestags, 16. Wahlperiode, 211. Sitzung, 19.03.2009: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anordnung des Zensus 2011 sowie zur Änderung von Statistikgesetzen

vi   Genaueres dazu im Zensusgesetz 2011 (ZensG 2011), §§ 3-9, und auf dem „Dialogportal der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder“ (www.zensus2011.de).

vii   ZensG 2011, § 7, Abs. 4, Nr. 19

viii   Verfassungsbeschwerde gegen das Zensusgesetz, eingereicht am 15.07.2010; Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unter BverfG, 1 BvR 1865/10 vom 21.09.2010

ix   LandtMitt, II. Kammer, 19.03.1858: Berathung über das Budget des Ministerium des Innern, Pos. 29. Für das statistische Bureau; S. 1014

 

Daniel Schmidt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte der Universität Leipzig. Er forscht zu Fragen der politischen Anthropologie, der modernen Staatlichkeit und  Macht-Wissen-Beziehungen. 2005 erschien seine Arbeit "Statistik und Staatlichkeit".
Er leitet ein Teilprojekt im BMBF-Forschungsverbund "Die vergangene Zukunft Europas", der den Umgang mit Bevölkerungsfragen im 20. Jahrhundert untersucht.