Mit Beteiligungsprozessen und Gender Planning zu inklusiven Freiräumen

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Beteiligung und Diversity sind einander ergänzende und bekräftigende Werkzeuge auf dem Weg zu gesellschaftlicher Vielfalt und vielfältiger Teilhabe. Inklusion wird in diesem Zusammenhang als denkbar weit gefasster Begriff des Miteinanders genutzt, der alle Arten von Herkunft, Prägung, Interessen, Einschränkungen, Lebenslagen sowie sämtliche daraus erwachsende Potentiale und Bedürfnisse in den Blick nimmt. Diese Sichtweise kann und sollte die Basis unterschiedlichster demokratischer Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse sein.
Im  Folgenden  sollen  im  Sinne  von  Inklusion  (inkluding  –  Einbeziehung)  die  Instrumente  Beteiligung, Gender  Planning  und  -Diversity  als  Werkzeuge  im  Vorfeld  der  Neu-  oder  Umgestaltung  öffentlicher Freiräume vorgestellt werden.

Chancengleichheit und Vielfalt: Gender Planning
Gender Planning als Instrument der Freiraumplanung macht Schluss mit Gestaltungen, die gängige Rollenbilder aufgreifen und festigen. Gendergerechte Freiräume befriedigen generations- und kulturübergreifende Bedürfnisse aller denkbaren Nutzerinnen und Nutzer, sie sind flexibel nutzbar und mit Bedacht strukturiert. Im Kontext gendergerechter Stadtplanung bieten sie zeitgemäße Antworten auf Themen wie Integration, Familien- und Erwerbsarbeit, lebenslanges Wohnen, Inklusion, Quartiersbildung, Identifikation u.v.m.
Gender Mainstreaming ist zunächst ein politischer Leitgedanke zur Förderung der Chancengleichheit aller Bevölkerungsgruppen  und  in  allen  Lebensbereichen.  Mit  Gender  Planning  etabliert  sich  ein Planungsansatz, der die Chancengleichheit zu einem wesentlichen Kriterium einer umfassenden, effizienten, nachhaltigen und damit erfolgreichen Planung macht. Dabei geht der Begriff der Chancengleichheit weit über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern hinaus. Gemeint ist viel mehr, allen alles zu ermöglichen. Gender meint nicht Frauenparkplätze aber sehr wohl chillende Jungs, fußballspielende Mädchen, sportliche Rentnerinnen und Väter im Spielsand. Je größer das Spektrum derer ist, für die ein Freiraum entwickelt wurde, je mehr Menschen ihre spezifischen Bedürfnisse an einem Ort berücksichtigt sehen, je vielfältiger die Schnittmengen und Begegnungsmöglichkeiten, um so attraktiver ist ein Ort. Gleichzeitig steigt das Sicherheits- und Zugehörigkeitsempfinden, je stärker ein Platz von unterschiedlichen Nutzungsgruppen frequentiert wird. Klare Strukturen unterstützen zusätzlich die individuelle Verhaltenssicherheit, nehmen Schwellenängste und vermeiden Konflikte. Die auf diese Weise gestalteten Freiräume fördern Integration, Interaktion und Begegnung. Sie wirken mittels Gestaltung und Ausstattung gängigen Rollenbildern entgegen, indem sie ermöglichen und ermutigen.

Beteiligung inklusiv(e)
Beteiligungsverfahren geben die Möglichkeit zu demokratischen Aushandlungsprozessen als Basis für bedürfnisorientierte, gendergerechte Planungen, aus denen gut frequentierte, vielfältig nutzbare Lieblingsorte entstehen.
Unter   dem   Begriff   „Bürgerbeteiligung“   versammeln   sich   seit   einigen   Jahren   viele   verschiedene
Beteiligungsansätze  und  -methoden.  Wir  verwenden  im  Folgenden  den  geschlechtsneutralen  Begriff
„Beteiligungsverfahren“ und plädieren für individuell entwickelte Beteiligungsmethoden, die sich auf den konkreten Ort und all seine potentiellen Nutzerinnen und Nutzer beziehen.

Kinder, Jugendliche, Anwohnerinnen und Anwohner unterschiedlichen Alters und in diversen Lebenslagen nehmen  ihr  Umfeld  unterschiedlich  wahr  und  haben  verschiedene  Ansprüche  an  Freiräume.  Beide Aspekte machen sie zu Alltagsexpertinnen und –experten, deren komplexes Wissen „am Reißbrett“ nur schwer erdacht und verstanden werden kann. Die Aufgabe von Beteiligungsprozessen besteht zunächst darin, diesen Wissensschatz zu heben, indem möglichst viele Personen stellvertretend für ihre Nutzungsgruppen befragt werden. Gleichzeitig bekommen die Planenden Gelegenheit, die Orte mit den Augen der künftigen Nutzerinnen und Nutzer zu sehen. Dieser Wissens- und Erfahrungsaustausch wird von den Beteiligten als Wertschätzung wahrgenommen und fördert auch im Weiteren die Akzeptanz einer Umgestaltung. Die Erfahrung zeigt, dass umfassende Beteiligungsverfahren eine ausgezeichnete Vandalismusprävention sind, weil über die Beteiligung an der Planung eine Identifikation mit dem Ort stattfindet, die auch auf lange Sicht lesbar und wirksam bleibt.
Deshalb ist bereits beim Auftakt des Prozesses darauf zu achten, dass alle potentiellen Nutzungsgruppen möglichst gleichberechtigt erreicht werden. Je breiter das Spektrum derer ist, die sich im Rahmen von Beteiligungsprozessen einbringen, umso lebendiger und friedlicher ist später das Mit- und Nebeneinander und umso größer wird auch die soziale Kontrolle sein. Dabei ist es besonders wichtig, die Gruppen einzubeziehen, die sonst nicht oder schwer erreichbar, dominant oder aber weitgehend unsichtbar sind, da gerade deren Integration hilft, Konflikte zu vermeiden.
Ein Beteiligungsverfahren erfordert neben der Erforschung individueller und gruppenspezifischer Bedürfnisse auch den Prozess der Aushandlung von Nachbarschaften, sich überschneidender oder widersprechender Interessen. Das Ergebnis solcher Prozesse sind Schwimmbäder ohne Wasserbecken, Reisen ohne Gepäck, das Gefühl von draußen zu Hausen - Orte die interkulturell und generationsübergreifend lesbare Stimmungen vermitteln, von denen viele sich angesprochen fühlen und an denen alle mitwirken.
Die räumlich-funktionale Struktur eines Ortes, gut eingebunden in die Umgebung, lesbar in ihren Zonen und Übergängen, ist der alles bestimmende Grundton, der aus einem Beteiligungsprozess hervorgeht. Pflanzungen, Ausstattungselemente, Farbigkeit und Materialien machen aus dem Grundton Musik, ein lebendiges Ganzes.

Kosten und Wert von Beteiligungsverfahren
Das vor der Planungsphase bereitgestellte Budget für Konzeption, Durchführung und Auswertung eines Beteiligungsverfahrens  gewährleistet  u.a.  umfassende  Partizipation  im  Sinne  des  Gender  Budgeting, indem die bevorstehenden baulichen Investitionen geschlechter- und generationengerecht allen zu Gute kommen. Darüber hinaus entsteht ein realer Mehrwert, weil inklusive Orte von mehr Menschen frequentiert werden – gendergerechte Investitionen nützen damit nicht nur einem breiteren sondern auch einem größeren Spektrum der Bevölkerung.
Auch vor dem Hintergrund der Kosten eines Beteiligungsverfahrens sollte am Anfang eines solchen Prozesses die Entscheidung stehen, wie mit den Beteiligungsergebnissen umgegangen wird: Beeinflussen sie im Rahmen der technischen und finanziellen Möglichkeiten die anstehende Planung, nehmen sie Einfluss auf Struktur, Ausstattung und Ästhetik oder dienen sie nur als Entscheidungsgrundlage für andere Gremien? Diese Fragestellung ist von besonderer Wichtigkeit, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Partizipationsprozessen wissen möchten, wie mit ihrer besonderen Expertise, ihren konkreten Bedürfnissen umgegangen wird. Nichts ist schlimmer für das Demokratieverständnis und das Interesse an Teilhabe, als Beteiligungen, deren Ergebnisse nicht umgesetzt werden.

Zum Wert der hier beschriebenen Beteiligungen gehört auch, dass die Teilnehmenden Transparenz in Verbindung mit Selbstwirksamkeit erleben. Alle können im Laufe des Prozesses erleben, dass ihre individuelle Teilhabe einen Unterschied macht, sie Einfluss nehmen und damit wirksam werden können.

„Macht alle mit!“ – Beteiligung konkret
Im Idealfall fällt vor Beginn des Beteiligungsprozesses die Entscheidung zur Umsetzung der Beteiligungsergebnisse im Rahmen der Landschaftsplanung (oder in entsprechenden anderen Bereichen). Darauf folgt die exakte Analyse des Platzumfelds im Hinblick auf die unterschiedlichen Nutzungsgruppen. Ein erfolgreiches Beteiligungsverfahren lebt davon, dass es Stellvertreterinnen und Stellvertreter aller vorhandenen Nutzungsgruppen erreicht. Veranstaltungsorte und Befragungsmethoden müssen deshalb so gewählt sein, dass alle teilnehmen können bzw. aufgesucht werden. Die Beteiligung erfolgt, zugeschnitten auf den jeweiligen Ort, in aufeinanderfolgenden Schritten, die, bezogen auf die potentiellen Nutzungsgruppen (z.B. Kinder, Ältere, Frauen, Männer, Eltern, ggf. kultureller/religiöser Hintergrund), paritätisch ausgewertet werden.
Die enge Verknüpfung von Beteiligung und Planung legt nahe, dass das Beteiligungsverfahren zusammen
mit  den  Planungsleistungen  ausgeschrieben  und  vergeben  wird.  Separate  Beteiligungsverfahren  im
Vorfeld der Planungen weisen in der Praxis oft größere Wissens- und Wirkungsverluste auf.

Was macht einen Ort erfolgreich
Um ein Projekt erfolgreich zu machen, muss es vom Ergebnis her gedacht werden:
Wie soll der umgestaltete Ort wirken? Wer wird sich zu welcher Zeit dort aufhalten? Welchen Tätigkeiten wird von wem nachgegangen? Wer begegnet sich? Wer traut sich etwas zum 1. Mal und dann immer wieder? Was / wer bereichert den Ort besonders und für wen ist der Ort eine besondere Bereicherung? Wie strahlt der Ort in die Umgebung aus?
Ein erfolgreicher Ort ist nicht teurer als andere, er ist besser, da er Chancengleichheit bietet, von der alle profitieren können. Beteiligung in Verbindung mit Gender- und Diversity Plannig ermöglicht einen größtmöglichen Ertrag aus der Investition in eine Um-/Neugestaltung, weil inklusive, geschlechter- und generationengerechte Orte stark frequentiert und dennoch vandalismussicher sind. Die Nutzungszeiten pro  Tag  steigen  durch  die  verschiedenen  Angebote  und  Nutzungsgruppen.  Es  entwickelt  sich  ein lebendiges Miteinander, das bestenfalls bis in Straßen, Schulen und Wohnungen strahlt. Damit sind gendergerechte Freiräume Lernorte für Inklusion, die fortgesetzt friedliche Aushandlungsprozesse und Teilhabe ermöglichen und die viele vieles mit anderen Augen sehen lässt.

Der Begriff der Barrierefreiheit erfährt im Sinne von Gender Diversity und -Planning eine Erweiterung hin zur Überwindung von allem Trennenden, von Schwellen und Schwellenängsten, (sozialen) Kräfteverhältnissen und überkommenen Rollenbildern. Umfassende räumliche Gerechtigkeit und Barrierefreiheit steigern die Lebensqualität aller und werden immer stärker zum Synonym lebenswerter Städte und Freiräume.

 
 
 

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