Beleidigt und bedroht

Kommentar

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke 2019 hat das Land erschüttert. Es war ein negativer Höhepunkt politisch motivierter Gewalt gegen Amtsträger/innen in Deutschland (vgl. BMI/BKA 2020). Allerdings: Gewalt gegen Politiker/innen ist in Deutschland kein Einzelfall. Auch wenn jeder Fall immer wieder als Einzelfall berichtet wird, das Gegenteil ist der Fall. Die Reihe von Gewalttaten gegen Politiker/innen auf allen Ebenen des politischen Systems ist lang. Es handelt sich um ein ebenenübergreifendes und bundesweites Problem, und als solches muss es adressiert werden.

Gewalt gegen Politiker/innen in Deutschland ist eine grundlegende Bedrohung der Demokratie. Besonders bedenklich ist, dass politisch motivierte Gewalt viel zu oft im Dunkelfeld bleibt. Wenn Politiker/innen beleidigt und bedroht werden, findet dies nur selten öffentlichen Widerhall. Häufig wird nach der Maxime verfahren: Wer sich politisch engagiert und damit in die Öffentlichkeit tritt, muss mit den Konsequenzen leben. Diese These wird vielfach geteilt, und selbst der Gerichtsbarkeit fällt der Umgang mit Gewalt gegen Amts- und Mandatsträger nicht immer leicht, wie der Fall Künast zeigt. Dabei ist die These nicht nur grundlegend falsch, sondern für die Bereitschaft politischen Engagements und damit die Demokratie insgesamt hoch gefährlich. Politisches Engagement darf keinesfalls zu einer Bedrohung der politisch Engagierten führen. Politische Gewalt von links wie rechts, ob gegen ehrenamtliche oder hauptberufliche Politiker/innen, ist inakzeptabel und eine fundamentale Bedrohung für die demokratische Kultur.

Dies gilt gerade für die kommunale Politik in den Städten und Gemeinden, wo sich Politik und Privates der meist ehrenamtlichen Politiker/innen in besonderer Weise überschneiden. Bei allen Schwierigkeiten, politisch motivierte Gewalttaten in Deutschland valide zu erfassen: Die Anzeichen verdichten sich, dass der Ton rauer und (nicht nur verbale) Gewalt gegen Politiker/innen häufiger wird (Kommunal 2020). Hassmails, Beschimpfungen in der digitalen Welt, Drohbriefe und persönliche Attacken sind vielerorts Bestandteil der politischen Erfahrungswelt. Regelmäßig wird vermeldet, dass einzelne Politiker/innen aus diesem Grund von Ihren Ämtern zurücktreten oder ihr Engagement beenden möchten.

Aus diesem Grund hat sich die Heinrich-Böll-Stiftung in einer Studie mit der Frage auseinandergesetzt, welche Auswirkungen Gewalterfahrungen für die Bereitschaft zum politischen Engagement haben. Was heißt es, wenn ehrenamtliches politisches Engagement mit Anfeindungen, Beleidigungen und Bedrohungen „belohnt“ wird?  In fünfzig Interviews mit Kommunalpolitiker/innen in Deutschland, in Stadt und Land, in Ost und West, wurden systematisch und wissenschaftlich fundiert untersucht, wie Politiker/innen mit Gewalterfahrung ihre Situation wahrnehmen und wie sie mit etwaigen Bedrohungen umgehen (Faus/Jurrat/Bukow 2020).

Mit Blick auf die Engagement-Bereitschaft zeigt sich, dass viele der interviewten Politiker/innen die Bedrohung zwar nicht akzeptieren, aber gleichwohl an ihrem Engagement festhalten. Positiv formuliert: Viele ehrenamtliche Politiker/innen im Land sind trotz Anfeindungen und Bedrohungen bereit, sich weiter für die demokratische Mitwirkung in Kommunalparlamenten zu engagieren. Allerdings, auch dies ist klar: Es ist keineswegs selbstverständlich, diese Situation zu tolerieren. Und: Die Erfahrungslage mit vorrangig verbaler Gewalt ist ebenso vielfältig wie die Intensität der Bedrohung. Auch die Wahrnehmung von Gewalt ist höchst unterschiedlich, wobei ganz mehrheitlich die Polarisierung der Gesellschaft und eine oftmals enthemmte Kommunikation als Gewalt-Treiber gesehen werden. Dies verdient, gerade im Lichte der aktuellen Konjunktur von Verschwörungstheorien aller Art, besondere Aufmerksamkeit.

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat sich in einer Studie mit der Frage auseinandergesetzt, welche Auswirkungen Gewalterfahrungen für die Bereitschaft zum politischen Engagement haben. Die Studie erscheint im Sommer. Hier einige erste Ergebnisse. Beleidigungen und Bedrohungen werden von den Politiker/innen nach wie vor recht häufig als individuelle Bedrohung, also als Einzelfall, wahrgenommen. Oftmals ist gar nicht klar, ob dieses Thema angesprochen werden soll oder ob es nicht doch ein Teil des „Risikos“ politischen Engagements ist. Dabei zeigt sich gerade in der Summe der Interviews deutlich, dass es sich im Kern um ein systematisches Problem handelt. Die Bedrohung und Beleidigung der Politik vor Ort muss daher als gesamtpolitisches Problem verstanden und entsprechend auch gesellschaftsöffentlich angegangen werden. Viel zu häufig müssen bedrohte Kommunalpolitiker/innen einen privaten Umgang mit der Bedrohung suchen, gerade weil es – mangels öffentlicher Debatte und mangels struktureller Ansätze als Einzelfall abgetan wird.

Gerade diese „Privatisierung“ des Umgangs ist besonders herausfordernd und belastend: Kommunale Politik im Ehrenamt erfolgt oft im heimischen Wohn- oder Arbeitszimmer, es gibt oft keine hauptamtliche Arbeitsausstattung, die verbale Angriffe in Mails und Briefen abfängt, dafür wird es sehr schnell persönlich, wenn die Drohungen wortwörtlich in der privaten Wohnung ankommen. Gerade deshalb muss das langsam wachsende Bewusstsein von politisch motivierter Gewalt als gemeinschaftliche Bedrohungslage zu einer institutionellen Reaktion führen, also beispielsweise in Form einer strukturierten Beratungsinfrastruktur, die gerade ehrenamtlichen Politiker/innen die gebotene Unterstützung bietet. Diese muss schon dann ansetzen, wenn Beleidigungen und Bedrohung sich einer justiziellen Verfolgung entziehen. Denn es muss gelten: Eine vielfältige Demokratie bedarf intensiver Debatten um politische Inhalte, sie darf aber in keinem Fall Gewalt gegen diejenigen tolerieren, die sich in diesen so essentiellen Diskursen haupt- und ehrenamtlich für die demokratische Gesellschaft engagieren.


Quellen

BMI/BKA (2020): Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2019. Bundesweite Fallzahlen, 12.05.2020, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020/pmk-2019.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (Stand: 28.05.2020).

Jana Faus/Andrina Jurrat/Sebastian Bukow (2020): Beleidigt und bedroht. Arbeitsbedingungen und Gewalterfahrungen von Kommunalpolitiker/innen in Deutschland. (Heinrich-Böll-Stiftung; im Erscheinen).

Kommunal 2020: Kommunalpolitiker: Bedrohungen sind an der Tagesordnung, abrufbar unter https://kommunal.de/index.php/kommunalpolitiker-umfrage-2020 (Stand 28.05.2020).