Wir sind hier. Redet mit uns!

Interview

Wie gelingt es unterschiedliche Menschen, Sichten und Kompetenzen für ein gemeinsames Ziel zusammenzubringen, daraus erwachsende Aufgaben auf vielen Schultern zu verteilen und noch mehr Menschen vor Ort für ehrenamtliches Engagement zu gewinnen?
Mit Christine Zeidler, Romy Ganer und Kristiane Wojcicki von dem Verein "Perspektive Boxberg / O.L." sprachen wir über ihr Engagement in und für die Gemeinde Boxberg in der Oberlausitz.

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Kristiane Wojcicki vom Verein "Perspektive Boxberg/O.L." im Gespräch mit Bürgermeister Hendryk Balko bei einer Ideenwerkstatt der Entwicklungsgesellschaft des Landkreises Görlitz (ENO).

Liebe Romy, liebe Christine, liebe Kristiane, schön, dass Ihr Euch heute die Zeit für das Interview genommen habt! Wir sind hier im Jugendclub von Boxberg, der durch Euer Engagement zum Leben erweckt wurde. Könnt Ihr kurz beschreiben, wie Ihr zu Jugendclub-Gründerinnen wurdet?

Romy: Kristiane hat ihn gegründet.

Kristiane: Wir haben für diesen Ort über die Sächsische Kinder- und Jugendstiftung 1.500 Euro auf einen Antrag hin bekommen. Davon haben wir den Fußboden reinegemacht und erneuert. Der neue Belag hat allein schon 800 Euro gekostet. Und dann haben wir noch ein paar Geräte gekauft: einen Kühlschrank, einen Staubsauger, ein paar andere Geräte und das war´s. Alles andere, was hier zu sehen ist, ist uns gebracht worden nach einem Aufruf über Schüler und Schülerinnen, deren Eltern und Großeltern.

Christine: Die Summe war zwar eher klein aber ein guter Anschub! Wir hatten Mittel bekommen und jetzt mussten wir alle an einem Strang ziehen. Bislang hatten sich die Jugendlichen „ihren Ort“ selbst organisiert irgendwo; sie saßen draußen an der Bushaltestelle oder am See. Aber sie hatten keinen Platz, wo sie sich zurückziehen oder zusammenkommen konnten, wo es ein bisschen geschützt ist.

Viele der Jugendlichen wollen hier bleiben, sehen aber die Perspektiven nicht. Ein schöner Jugendclub ist da schon essentiell und wichtig! Als es dann losging, war aber auch klar, dass das nicht von uns alleine organisiert werden kann.

Blick auf den neu eröffneten Jugendclub in Boxberg. Direkt darüber ist die Kreativwerkstatt eingerichtet worden.
Jugendclub (unten) und Kreativwerkstätten (oben) in Boxberg. Vorher waren in diesem Gebäude ein Schleckermarkt und ein Friseur.

Kristiane: Der Jugendclub war ein Abschlussprojekt von Schülern einer 10. Klasse, die sich hier selber etwas gestaltet haben. Da hat man schon gemerkt, dass es das braucht, die Jugendlichen einzubeziehen und ihnen eine Möglichkeit zu geben, Räume zu schaffen, wo sie sich auch mal ausprobieren können.

Die Jugend und Familien sind nunmal der Stamm eines Ortes. Welcher Ort gedeiht denn, der aus einem Altenheim lebt?  (Kristiane Wojcicki, Perspektive Boxberg / O.L.)

 

Es gibt mittlerweile Menschen, die ganz bewusst in der Lausitz bleiben wollen, zurückkommen bzw. aufs Land ziehen. Wie sieht es denn hier aus?

Kristiane: Als Lehrerin kenne ich die meisten Menschen, die hier wohnten, noch als Kinder und Jugendliche. Mein größtes Anliegen ist, dass sie möglichst wieder zurückkommen! Die meisten kommen aus richtig schönen Umgebungen, aus den Häusern ihrer Eltern. Die Eltern sind alt geworden, möchten Häuser und Höfe gern an ihre Kinder weitergeben. Aktuell verspüren wir auch einen relativ großen Aufschwung: Fast jedes, einstmals leer stehende Haus oder wo man gesagt hat, die Eltern werden das nicht mehr schaffen, ist wieder bewohnt von jungen Leuten. Ich würde denken, dass die Corona-Zeit dabei durchaus eine Rolle gespielt hat: die Leute wollten aus den Städten heraus.

In dieser Zeit ist auch die Freie Schule hier im Ort entstanden. Es muss eine Schule da sein! Glücklicherweise ist auch die Grundschule hier. Und wir haben auch Kindereinrichtungen.
Die Jugend und Familien sind nunmal der Stamm eines Ortes. Welcher Ort gedeiht denn, der aus einem Altenheim lebt?

Christine: Versorgungspunkte wie der Bäcker und der Fleischer etwa, ein Café oder Gaststätten braucht es ebenso als Treffpunkte für die verschiedenen Generationen. Auch hier hat sich die Versorgungsstruktur über die Jahre immer mehr ausgedünnt. Ich glaube, in 5 von den 18 Ortsteilen gibt es noch Nahversorgungsorte. Dazu zählen wir Bäcker und Fleischer. In vielen Orten gibt es eben gar nichts mehr. Die hier lebenden Menschen müssen immer fahren. Ältere oder Kinder und Jugendliche sind dabei auf einen regelmäßig verkehrenden ÖPNV angewiesen – Mobilität ist eben auch ein großer Knackpunkt im ländlichen Raum, für viele auch ein entscheidender Faktor, ob sie wiederkommen.

Deswegen war es eben auch unser Ansatz zu sagen, man macht nicht nur etwas für die Jugend, sondern wir brauchen Angebote für alle! Das zeigt sich in diesem Gebäude: Unten ist der Jugendtreff und oben Kreativ- und Kunstateliers oder Beratungsangebote. Aber auch bei unserem Natur- und Regionalmarkt, der im September erstmals stattfand.

Im Vordergrund die ehrenamtlich Aktiven der Perspektive Boxberg/O.L., die für die Organisation des Marktes Hand angelegt haben.
Natur- und Regionalmarkt in Kringelsdorf am 18. März 2023.

Aber tatsächlich gibt es auch hier Orte, die wieder Zulauf erleben wie Klitten oder Reichwalde. Viele meiner Altersgruppe um die 30 kommen wieder, die für ihre Ausbildung und Arbeit in Österreich, der Schweiz oder anderen Orten deutschlandweit verstreut waren.

 

Gehen wir mal zu den Anfängen Eures Engagements zurück. Wie habt Ihr Euch bei 18 Ortsteilen verstreut über eine Riesenfläche überhaupt gefunden?

Kristiane: Romy hat alles zusammengewirbelt in unseren Anfängen, als alles noch sehr locker war und sich noch niemand vorstellen konnte, dass es so eine intensive Zusammenarbeit geben wird.
Ich kann mich noch an die erste Veranstaltung in Rauden erinnern, wo wir zusammengesessen haben und wo sie Geschäftsleute und Firmen zusammengetrommelt hatte. Ja, da hatte ich mich als Selbstständige angesprochen gefühlt, noch nicht einmal als Lehrerin oder als Schulleiterin.

Durch unsere Gespräche hat sich alles weiterentwickelt. Wir sind mittlerweile breit aufgestellt: von Betriebsleitern, über die jungen Damen hier bis hin zu mir, die von Bad Muskau bis Dresden relativ viele Leute und Behörden und Ämter kennt. Da weiß man auch, wo man andocken kann.

Viele Dinge brauchen einfach sehr viel Zeit und das ist nicht jedermanns Sache. Auch nicht meine! (Romy Ganer, Perspektive Boxberg / O.L.)

Romy: Ich hatte zu dieser Veranstaltung in Rauden zur Gründung eines Gewerbe- und Tourismusvereins aufgerufen auch mit dem Hintergedanken, die 18 Ortsteile zu einen und zumindest im Bereich Gewerbe und Tourismus voranzubringen. Von den 30 - 40 Leuten der ersten Runde sind dann noch 5 - 8 über einen längeren Zeitraum gekommen. Wir haben uns regelmäßig getroffen und gesprochen, was wir alles so machen können. Wir haben Seiten voll geschrieben, was alles gut wäre zu machen, sind aber nicht vorangekommen. Noch nicht einmal aus dem Grund, dass wir es nicht hätten tun können. Irgendwie hatten wir die Handbremse gezogen und haben uns dann externe Hilfe geholt. Die hat uns dann tatsächlich auf den richtigen Weg gebracht.

Wir haben oft diskutiert, gründen wir einen Verein oder bleiben wir eine lose Interessenvereinigung; soll unser Engagement wirklich alle Bürger ansprechen oder tatsächlich nur die Gewerbe- und Tourismustreibenden. Dieses „Aushandeln“ hat tatsächlich fast 2 Jahre gedauert. Ich glaube, es hat sich so schwierig gestaltet, weil so viele Charaktere dabei waren. Wir wussten um die Kompetenzen von uns allen, um das Potenzial, das genau auch darin lag. Aber wir haben einfach keinen Weg gefunden, wie wir miteinander ins Arbeiten kommen.

Am 5.12.2019 haben wir dann den Verein gegründet. Daraufhin haben sich relativ schnell die ersten Projekte geformt. Ich weiß gar nicht, mit welchem Projekt es richtig angefangen hat. Es waren ja viele Sachen in der Pipeline: Wir hatten den Bürgerbus, das Gesundheitszentrum. Es ging um autarke Versorgung. Wir haben mit Ministerpräsidenten Kretschmer gesprochen u.a. über autonomes Fahren.

Man könnte nun denken, das, was wir wollen, interessiert so viele Menschen, dass uns alle überrennen. Es klingt so, aber es ist tatsächlich nicht so, denn ich glaube, die Leute scheuen die Verantwortung und

Kristiane: Sie sehen die Arbeit, die dahinter steckt!

Romy: Wahrscheinlich. Auf jeden Fall hat uns die Corona-Pandemie etwas ausgebremst. Wir  konnten einige Dinge nicht so umsetzen, wie wir es wollten.

2020 hatten wir eine große Veranstaltung, wozu wir auch die LEAG eingeladen hatten. Wir hatten die SAS (Sächsische Agentur für Strukturentwicklung) eingeladen, einfach um zu gucken, was passiert denn jetzt mit den Strukturwandelgeldern, die uns versprochen werden!
Wir haben die Leute hier gefragt, was sie für Boxberg wollen, woran wir ihrer Meinung nach arbeiten sollen und haben ein Stück weit versucht – es ist uns nicht allen Bereichen gelungen und es wird wahrscheinlich auch nie in allen Bereichen gelingen -, hier Dinge mitzunehmen und umzusetzen.

Während der Pandemie haben wir digitale Formate gehabt, zu denen wir eingeladen haben – nach dem  Motto: Wir sind hier. Redet mit uns! Wenn Ihr etwas wollt, sprecht uns an!
Nebenbei haben wir unterschiedliche Projekte geschrieben für Kunst und Kultur, für den Jugendclub hier, für den Bürgerbus, der sehr lange gebraucht hat, bis er umgesetzt wurde. Die Genehmigungen haben sich über 2 Jahre gezogen. Da waren wirklich viel Herzblut dabei und viele Nerven. Und im Mai hätten wir fast aufgegeben. Wir hatten echt die Nase voll.
Auch das Gesundheitszentrum, an dem wir schon von Anfang an sitzen und das wir hoffentlich irgendwann mal einreichen können, zieht sich. Viele Dinge brauchen einfach sehr viel Zeit und das ist nicht jedermanns Sache. Auch nicht meine! Deshalb war die Pandemie für mich nicht nur generell, sondern auch für den Verein eine wirkliche Herausforderung, eine Geduldsprobe. Digitaler Austausch ist das eine, aber ein persönliches Gespräch ein anderes! Und es wusste ja auch keiner, wie es weitergeht.

Jetzt denke ich, sind wir auf einem guten Weg!

 

Ich würde gern noch einmal gern auf die externe Hilfe zurückkommen. Ihr wart in einem Prozess, der wahrscheinlich relativ zermürbend war, weil man nicht so richtig vorankommt. Wie sucht man sich da Hilfe? Wie kommt man zu der Hilfe?

Romy: Ich hatte mit Manuela Kohlbacher vom Kompetenzzentrum Forst bereits im Vorfeld zusammen gearbeitet. Da hatte sie mir schon gesagt, dass sie Prozessbegleitung machen. Sie arbeitet eng mit Markus Pfüller zusammen. Beide haben uns letztlich begleitet.

Es gibt Prozessbegleiter für alles Mögliche. Wenn man sich auf die Suche begibt, ist es gut zu fragen, wie diese sich finanzieren. Vielleicht kennen sie Töpfe. Ansonsten gibt es den Fördermittellotsen, dieses große Portal für Fördermittel in Sachsen. Da könnte man am Anfang andocken, wenn man noch gar nicht weiß, in welche Richtung es geht.

 

Und wie sah die externe Hilfe konkret aus? Was ist da passiert?

Kristiane: Wir sind in der Anfangszeit ein gutes Stück weit geführt worden. Sie haben uns gesagt, jetzt müsst Ihr diesen und jenen Schritt noch weiter tun. Das hat alles eine gewisse Zeit gebraucht.

Ich selber habe weder Zeit noch Muse - ich habe auch noch eine Selbstständigkeit und bin Lehrer und Coach -, um Fördermitteltöpfe im wahrsten Sinne des Wortes auszugraben. Als Verein ist man immer auf der Suche nach dem, was machbar ist.

 

Das Finden eines Fördertopfes ist ja das eine, aber dann Ideen entwickeln, aufschreiben, realisieren...

Romy: Ich denke, das ist eine Erfahrung, die wir in diesem Jahr besonders machen: Anträge schreiben ist eins, aber wir können nicht alles umsetzen! Wenn Anträge kommen, muss ich auch die Frage beantworten können, ob ich den tatsächlich umsetzen kann oder ich jemanden habe, der das für mich tut. Das ist unsere Lernaufgabe für das nächste Jahr!

Es ist nicht überall sinnvoll, irgendwas rauszuhauen, damit mehr Kohle kommt. Allein der Antrag ist Zeit und Energie, die wir investiert haben und im Endeffekt müssen wir das Doppelte an Energie im nächsten Jahr in die Umsetzung reinstecken.

Kristiane: Drei Kinder und immer machen, machen... Neben der Arbeit auch noch im Ehrenamt tätig sein, das frisst einen schon ganz schön auf! Aber man hat auf diese Weise auch einen Rundumblick.

Die verschiedenen Kompetenzen, die bei uns alle haben, müssen wir gut mit den Förderanträgen verknüpfen und verteilen. Im Moment scheint es sich so einigermaßen zurecht zu rütteln, wer was in der Hand hat: Ob das der Bürgerstrom wird. Ob das unsere sozialen Projekte sind. Oder aber der Bürgerbus. Das hat sich schon ein bisschen ausgebildet. Aber wir brauchen noch mehr. Zu fünft oder zu sechst können wir das nicht angehen.

 

Die Vielfalt an Menschen und Kompetenzen im Verein birgt also auch eine Chance, dass sich die vorhandenen verschiedenen Projekte auf unterschiedliche Schultern verteilen?!

Romy: Genau! Es verzahnt sich. Wenn wir ein wirtschaftliches Problem haben, dann haben wir genug Geschäftsführer, die sagen können, guckt Euch das mal da und da an. Oder sie können weiter vermitteln. Wenn es etwas Soziales ist, dann geht es über Kristiane. Und wenn es etwas im technischen Bereich ist, Handwerk oder ähnliches, dann geht es über Christine.

Christine: Genau. Kürzlich sagte jemand aus einem Nachbarort, er würde gern mitmachen. Er kommt aus dem Marketingbereich, was eben super ist, wenn es um die Außenwirkung geht! Jeder hat so seinen Bereich und kann sagen, wo bzw. womit er sich wohlfühlt; was seine Themen sind, die er gerne bespielen möchte. Auf der einen Seite bietet das unzählige Möglichkeiten, aber man darf sich halt auch nicht verrennen im Zuviel.

Es ist schön, dass so viel entstanden ist. Es freut uns sehr, aber es muss sich jetzt auf mehr Schultern verteilen und das muss wachsen. Und das darf jetzt auch wachsen. Die Projekte, die dieses Jahr gewachsen sind, sollen sich erst einmal etablieren und die Leute sich finden, die dazu gekommen sind.

Auch hinsichtlich des Nachwuchses wollen wir nicht so viel vorgeben. Wir sehen natürlich, was es hier braucht, wo es Probleme gibt und wo wir Lösungen schaffen können. Aber wir haben auch gesagt, dass wir jeden, der neu zu dem Verein hinzukommt oder Jugendliche, die hier im Jugendclub Ideen entwickeln wollen, dass die aus ihrem eigenen Ansatz heraus, die für sie relevanten Dinge angehen können.

Romy: Heute ist es oft so, dass Menschen die Verpflichtungen aus der Vereinstätigkeit, dieses Regelmäßige und Ständige, ich will nicht sagen, dass sie es scheuen, aber sie gehen diese Verpflichtungen nicht mehr so häufig ein. Da ist unser Verein eigentlich ganz schön: Man kann sagen, okay, ich beteilige mich im Rahmen eines interessanten Projektes und dann ist auch gut. Natürlich wäre es schöner, wenn es Mitglieder werden, aber wenn sie mithelfen, Projekte umzusetzen, ist das auch vollkommen in Ordnung!

Zu uns können die Leute kommen und andocken und wir schauen, wo es reinpasst oder stricken was Neues. Wer ein Thema hat, kann kommen. Wir schauen, wo es reinpasst und verzahnen Projekte und Leute. Ob sich alles realisieren lässt, steht auf einem anderen Blatt und wie lange es dauert.

Kristiane: Wir, wie wir hier sitzen, können nicht auf jeder Hochzeit tanzen. Aber es muss sich jeder seinen Kompetenzen, seinen Vorstellungen entsprechend irgendwo einbringen können oder den Hut aufsetzen können.

Wir sind Ideen- und Impulsgeber, aber wir würden gern die Aufgaben verteilen. (Christine Zeidler, Perspektive Boxberg / O.L.)

 

Bei vielen Projekten gibt es ja oft das Problem, dass die Mittel rasch ausgeschöpft sind und es völlig offen ist, wie es dann weitergeht. Nehmen wir mal das ganz konkrete Beispiel des Bürgerbusses, ohne zu wissen, wie es da bei Euch gelaufen ist: Es war sicherlich eine sehr aufwendige Prozedur, den überhaupt erst einmal zum Fahren zu bringen. Aber wie gelingt es nun, ihn auf Dauer anzulegen? Es ist ja bei der aktuellen Förderlandschaft oftmals das Problem, dass man sich immer wieder etwas Neues ausdenken muss. Man hat also oftmals einen kleinen Slot, der gefördert wird und dann steht man da, hat etwas Schönes auf den Weg gebracht, aber es fehlt der Anschluss.

Romy: Der Bürgerbus ist genau so ein Projekt! Wir wussten, mit den 5.000 Euro, die wir bekommen vom Mitmachfonds, ist das Ding relativ schnell durch. Wir hätten 10 Fahrten organisieren und umsetzen können! Daraufhin haben wir eine zusätzliche Förderung vom Land bekommen, so dass wir 3 Monate fahren konnten.
Doch es war ein schlechter Zeitpunkt: Es war Winter. Es ist kaum jemand rausgekommen. Corona kam in die Quere.

Es gab eine wissenschaftliche Begleitung, die uns hoffentlich bald vorgelegt wird. Mit den Ergebnissen dieser wissenschaftlichen Begleitung können wir dann auch weiter schauen und überlegen, wie wir damit umgehen.

Also, aktuell fährt der Bürgerbus erst einmal nicht mehr. Bei unserem Gesundheitszentrum wird er aber integriert in der Art z.B., dass die Leute aus Reichwalde am Dienstag, wenn der Bürgerbus fährt, bevorzugt bei den Ärzten drangenommen werden.

Christine: Wir hatten eine Gesprächsrunde mit ÖPNV, Landkreis, Verkehrsverbund und dem Verkehrsökologen Prof. Udo Becker der TU Dresden. Er hat uns auch Supersachen aufgezeigt!

Wir erhoffen uns natürlich immer, weil wir in ehrenamtlichen Strukturen wirken, dass Strukturen oder Akteure, die das beruflich machen - sei es etwa im Landkreis oder an der TU – uns unterstützen und entlasten. Da haben wir jetzt eine Professur Verkehrsökologie, die vielleicht sogar auf Studierende hier aus dem Kreis trifft: Da wäre es doch mal ein Ansatz, eine Bachelor- oder Doktorarbeit zu Mobilität im ländlichen Raum, zu unserer Modellregion, anzubieten?! Für eine stärkere Zusammenarbeit mit Universitäten, die ja auch immer Praxisbeispiele suchen, sind wir offen! Aber aktuell haben wir leider den Ball wieder zurückgespielt bekommen: Organisieren Sie Termine, machen Sie dies und das. Und das ist für uns immer schwierig.

Natürlich machen wir das jetzt seit Jahren, alles im Ehrenamt. Deswegen freuen wir uns natürlich immer, wenn andere unser Engagement eben sehen und sagen: Wir sehen das. Wir schätzen das. Und wir unterstützen das eben auch und können ein Stück weit Begleiter sein und Prozesse übernehmen. Wir sind Ideen- und Impulsgeber, aber wir würden gern die Aufgaben verteilen.

 

Eins Eurer Ziele, wenn nicht sogar das große Ziel überhaupt, ist es ja, dass alle 18 Ortsteile der Großgemeinde Boxberg und deren Menschen zusammengebracht werden sollen. Das ist eine extrem schwierige Aufgabe, wenn sich die Menschen gar nicht so richtig nah fühlen, oder?

Kristiane: Das wird eine Zukunftsaufgabe sein. Deswegen ist unser Name „Perspektive Boxberg“ auch passend dafür. Auch um den haben wir gerungen.

Romy: Wenn das Herz woanders hängt, dann ist es halt so! Da wurde bei der Kommunalpolitik - und ich hoffe, dass sie daraus gelernt hat, wenn sie noch einmal auf so eine Idee kommen sollte - vergessen, wie Menschen vor Ort verwurzelt sind. Und dieses Verwurzelte geht jetzt erst ganz allmählich mit den Zuzügen raus. Den „Neuen“ sind Zugehörigkeiten vollkommen egal. Je mehr junge Leute hier herkommen und mit diesen Strukturen nichts zu tun haben, desto schneller kann ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl wachsen. Aber das wird noch eine Weile dauern. Nichts desto trotz versuchen wir, mit unseren Angeboten für alle präsent zu sein. Wir hatten jetzt eine Veranstaltung zu Bürgerstrom in Boxberg im Gemeindesaal gemacht, werden aber jetzt noch weitere an größeren Orten wie Reichwalde und Uhyst machen, um die Leute darüber zu informieren, dass sie nicht das Gefühl haben, die machen das alles nur in Boxberg.

 

Wird in diesen Orten auch etwas entstehen?

Romy: Wir gründen eine Energiegenossenschaft und da ist egal, woher das Genossenschaftsmitglied kommt. Ziel ist es, allen Beteiligten günstigen Strom anzubieten und das vollkommen unabhängig davon, wo jemand in der Gemeinde Boxberg wohnt.

Gerade der Natur- und Regionalmarkt zeigt, dass wir versuchen, fast jeden Ort zu erreichen.

Christine: Ja, mit dem Markt wollen wir die Gemeinschaft stärken, einen Ort schaffen, wo die Leute zusammenkommen, wo sich die Leute versorgen können. Langfristig werden wir gucken, ob ein Markt wirklich das Thema ist, was die Gemeinde braucht. Idealerweise findet sich jemand, der einen „Tante Emma“-Laden wieder aufleben lässt oder eben Strukturen und Standorte für Marktschwärmer aufgebaut werden und sich jemand findet, der Produkte einsammelt und verteilt. Die Märkte sollen also nachwirken. Das Projekt soll dann nicht abgeschlossen sein mit Förderende, sondern wir wollen es schon weitertragen. Nahversorgung ist ein Thema: Einen Discounter wollen zwar einige, aber wenn man das weiterdenkt, kann es nicht das Ziel sein im ländlichen Raum, weil wir gute Versorgerstrukturen und Bauern vor Ort haben, die ja ihre Produkte auch verkaufen wollen!

Romy: Es ist schon ein hehres Ziel, die Gemeinde zu einen - einen im Sinne von „Wir sind Teil dieser Großgemeinde“, alles mal mit anderen Augen zu sehen und zu akzeptieren, dass Dinge laufen, wie sie laufen aufgrund der Vorgaben, die möglicherweise die Gemeindeverwaltung auch hat. Das würde mir schon reichen. Ich muss als Reichwalder nicht sagen: Ich bin Boxberger, juhei!

 

Spätestens 2038 wird das Kohlekraftwerk stillgelegt. Da stellt sich die „Perspektiv“-Frage ja noch einmal neu! Wie seht Ihr die Zukunft Boxbergs?

Romy (schmunzelnd): Für uns ist das ganz klar! Boxberg wird umgebaut zu einem Naherholungsgebiet, das sich autark aufstellt und junge, digitale Nomaden anlockt. Wir werden ein Ort für Künstler und Künstlerinnen und Kunstschaffende aus der ganzen Welt... (lacht)

Ich bin da ganz optimistisch, auch wenn viele uns hier in der Region schon als verloren betrachten - unabhängig davon, ob es das Kraftwerk gibt oder nicht. Es werden immer Menschen hier leben. Es wird immer kreative Geister geben, die es sich hübsch machen: für ich selbst und für andere.

Die LEAG ist ja auch daran interessiert, nicht zu gehen, wenn sie fertig sind. Sondern sie wollen ja den Bestand ihrer Flächen mit irgendetwas weiter bespielen. Deshalb ist es wichtig, auch für uns als Verein, dort den Fuß in der Tür zu haben, mit ihnen im Gespräch zu sein und zu gucken, wo stellen die sich auf  und wo können wir da Verknüpfungen mit der Gemeinde herstellen.

Wir sind nicht politisch aktiv, aber so ein Verein kann sich da nicht gänzlich rausziehen, gerade mit den Themen, die wir bespielen. Das Gesundheitszentrum und auch der Bürgerbus: Da ist Politik im Spiel! Das muss man einfach so sagen. Und deshalb ist auch von unserer Seite eine strategische Ausrichtung wichtig. Wo wollen wir als Verein mit der Gemeinde für die Region hin?

 

Ihr habt gesagt, dass Ihr Unterstützung von der Gemeinde bekommt. Wie ist das gewachsen?

Romy: Das Irre ist ja, dass die Gemeinde Boxberg so groß wie Chemnitz in etwa ist. Aber wir bekommen eine Zuweisung nur für die 4.400 Einwohner. Das kann ja die Gemeindeverwaltung letztendlich gar nicht stemmen!

Und so hatten wir sie schon relativ schnell mit im Boot!

In vielen Dingen, die wir tun, nehmen wir der Gemeinde Arbeit ab. Ab und zu kam die Gemeinde auf uns zu und sagte, kümmert ihr euch doch mal drum; wo wir gesagt haben, eigentlich ist es nicht unser Thema, aber okay, wir können ja mal gucken, was wir machen können.

Es ist ein gutes Miteinander. Viele Dinge können wir nicht ohne die Gemeinde machen: Wenn wir Projektanträge schreiben bzw. mit externen Partnern zusammenarbeiten, die für uns Anträge schreiben, ist die Gemeinde oft mit im Boot. Wir informieren und überzeugen die Gemeinderäte von unseren Ideen, so dass sie sie in ihre Orte tragen. Aber natürlich gibt es bei der einen oder anderen Sache kritische Nachfragen, wie etwa bei der Bürgerstromanlage nach dem Motto: Es ist schön, dass Ihr das machen wollt, aber wir müssen erst einmal den Gemeinderat einbeziehen. Ihr könnt nicht einfach sagen, wir nutzen die Dächer der Gemeinde.

Auch, wenn manche Dinge schneller laufen könnten, funktioniert die Zusammenarbeit gut. Es ist halt eine Verwaltung. Da muss man auch ganz klar sagen: Die arbeiten, wie sie arbeiten. Und wenn man sich gegenseitig respektiert und weiß, wo die Grenzen sind, dann ist das auch in Ordnung.

Kristiane: Man muss aber auch dranbleiben!
Aber die Anerkennung für die Arbeit, die wir alle im Ehrenamt machen, die ist gestiegen.

 

Werden auch Mittel zur Verfügung gestellt?

Kristiane: Ja. Für den Jugendclub werden z.B. alle Nebenkosten von der Gemeinde übernommen. Wir brauchen für den Jugendclub erst einmal nichts zu bezahlen.

Romy: Und das in allen Gemeinden, wo ein Jugendclub ist!
Es ist eine der wenigen Gemeinden, die das tatsächlich so macht! Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung meinte auch, dass das nicht gang und gäbe ist. Es ist der Bevölkerung hier auch gar nicht bewusst, dass das eine freiwillige Leistung der Gemeinde ist.

 

Apropos Gelder: Kommen auch Gelder für den Strukturwandel bei Euch an?

Romy: Wir hatten kürzlich ein Gespräch mit einer Partei. Sie fragte uns, wie der Strukturwandel so läuft: Zwei Stunden haben wir im Strahl ausgeschüttet, wie bescheiden das alles ist! Sie sind aus dem Staunen nicht wieder rausgekommen. Die Unterstützung, die wir kriegen? Wir können ja mal eine Eingabe machen! ... Ja, super!

Nehmen wir das Gesundheitszentrum: Wir haben das mit der Gemeindeverwaltung entwickelt - die werden dafür bezahlt, mit der ENO – die eine Stabsstelle dafür bekommen haben; mit dem Ärztenetz Oberlausitz, mit dem Landkreis und dann noch einem Architekturbüro. Alle werden dafür bezahlt, außer wir. Den Antrag haben wir geschrieben gemeinsam mit der Gemeindeverwaltung.

Dann kommen Sachen zurück, die verändert werden müssen, wo Du denkst: Bitte was?
Ich schreibe also jetzt für ein Projekt in 5 Jahren einen Antrag, weil ich weiß, dass die Ärztinnen vor Ort weggehen. Jetzt muss ich mir einen Letter of Intend von einem Arzt geben lassen, der in 5 Jahren hier in dem Gesundheitszentrum arbeiten will! Und dann kommt er aus welchen Gründen auch immer nicht?!

Diese Antragsformalitäten sind überhaupt nicht bedarfsorientiert! Du musst irgendetwas schreiben, damit es sich vor allem schön anhört. Aber es ist an der Realität vorbei! Es ist Verschwendung von Steuergeldern, wenn ich daran denke, wie die Gemeinde da reingebuttert hat und auch der Typ von STARK! Und Du stellst den Antrag und der Typ von STARK sagt: Also, wir können das hier so schreiben, aber das, was wir in den letzten Anträgen geschrieben hatten laut Richtlinie, war irgendwie auch nicht korrekt.

Du kommst Dir verarscht vor, Du kommst Dir regelrecht verarscht vor!

Dann werden diese Projekte in den Begleitausschuss gegeben und kommen total zerpflückt zurück und Projekte mit kaum Personal und viel Geld sind bewilligt worden!
Wo war das nochmal?

Kristiane:  Bischofswerda, wo Strukturwandelgelder in ein Kultur-Haus fließen.

Romy: Und dann sehen die bei uns die Kernbetroffenheit nicht einmal! Wir haben ja das Kraftwerk nur direkt vor der Tür! Aber nein, wir sind nicht kernbetroffen! Aber Bischofswerda, Kamenz, Radeberg und Görlitz? Reicht für mich! Also, die Betroffenheit ist wohl rauszuhören! (lacht)
So läuft das mit dem Strukturwandel! Die Kuh kriegen sie nicht mehr vom Eis!

Und dann fragt man sich, wenn die Leute hier abdriften!?
Und dann wird man noch abgestempelt als eine der „Verlorenen“, die eh nicht demokratiefähig seien. Aber weißt Du, was gut ist? Wir machen es einfach trotzdem!

(Das Interview wurde im September 2022 von Grit Ebert geführt und im Febuar 2023 aktualisiert.)

 

Im März 2021 sprachen wir mit Akteur*innen über den Strukturwandel in der Lausitz. Mit dabei war Romy Ganer von der Perspektive Boxberg / O.L..

Einfach machen!? - Strukturwandel in der Lausitz - BoellSachsen

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