Weg vom russischem Gas: Statt fossiler Abhängigkeiten müssen Deutschland und Europa auf grüne Energiepartnerschaften setzen

Analyse

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist ein Weckruf. Er führt uns vor Augen, in welche fatale wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von fossilen Energieimporten wir uns begeben haben. Mit dem Ausstieg aus russischen Energieimporten müssen neue Abhängigkeiten von fossiler Energie vermieden werden. Die Alternative aus Einsparungen, Erneuerbaren und europäischer Kooperation bietet kurz-, mittel- und langfristig viel größere Chancen. Dafür braucht es aber neue, grüne Energiepartnerschaften auf einem neuen Wertefundament.

Deutschland hat zuletzt 55 % seines fossilen Gases aus Russland importiert. Bei Öl und Kohle sind die Energieimporte aus Russland zwar nicht ganz so groß, doch auch hier besteht eine erhebliche Abhängigkeit. In einem europäischen Kontext gilt dies auch für Uran.

So bitter dieses Eingeständnis ist: Mit dieser Abhängigkeit hat Deutschland den Krieg in der Ukraine mit ermöglicht. Im Gegenzug für die Lieferung von Kohle, Öl und Gas wurden Milliarden Euro nach Russland überwiesen, von denen ein großer Teil in Putins Kriegskasse gelandet ist.

Dass diese Abhängigkeit entstanden ist, war kein Zufall. Sie ist Ergebnis einer gezielten Politik. In den vergangenen 16 Jahren haben die Bundesregierungen unter der Führung von Angela Merkel und ihres langjährigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier den Weg für Energieimporte aus Russland freigemacht. Bedenken der europäischen Partner haben die Merkel-Regierungen ignoriert. Die Warnungen der USA wurden als Einmischung abgetan. Die Stimmen von Kritikern in Deutschland und Oppositionellen aus Russland beiseite gewischt.

Nord Stream 2: Beispiel für die pro-russische und pro-fossile Energiepolitik

Krassestes Beispiel für die pro-russische und pro-fossile Energiepolitik war der Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Entgegen aller Warnungen der europäischen und transatlantischen Partner und insbesondere der Ukraine wurde das Projekt von der deutschen Politik Seite an Seite mit Putins Gefolgsleuten vorangetrieben. Daran waren alle politischen Ebenen beteiligt: Die Lokalpolitik, die vom Sponsoring der Nord Stream 2 profitiert. Landes- und Bundesbehörden, die im Genehmigungsprozess willfährige Entscheidungen getroffen haben. Das Bundeswirtschaftsministerium, das bei rechtlichen Hürden behilflich war. Und schließlich die Bundeskanzlerin selber, die das Projekt stets als „privatwirtschaftliche Initiative“ verkaufen wollte.

Dabei war klar, dass Nord Stream 2 der gänzlichen Umgehung der Ukraine als Gas-Transitland dienen sollte. Und der Zeitplan für Bau und Inbetriebnahme war so gewählt, dass die Kapazitäten rechtzeitig zu Beginn von Putins Angriffskrieg zur Verfügung stehen sollten.

Zumindest dem Zeitplan haben erst die Klagen der Deutschen Umwelthilfe einen Strich durch die Rechnung gemacht, weil damit der Bau Ende 2020 und Anfang 2021 erheblich verzögert werden konnte. Dadurch erst fiel die wichtige Entscheidung zur Zertifizierung der Betreibergesellschaft der Pipeline als Netzbetreiber auf einen Zeitpunkt nach der Bundestagswahl 2021 – wo schließlich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auch Bundeskanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium endlich zu der Erkenntnis gelangten, dass die Inbetriebnahme der Pipeline gestoppt werden muss. Dies führte zum Stopp des Zertifizierungsverfahrens, das Projekt liegt deshalb derzeit auf Eis.

Dieser Ablauf und die Ereignisse sind immer noch relevant: Aus Bau und Inbetriebnahme der Nord Stream-Pipelines sowie der politischen Initiativen dazu lassen sich wichtige Lehren für die heutigen Entscheidungen ziehen.

Neue Abhängigkeiten von fossiler Energie müssen vermieden werden

Es ist offensichtlich, dass neue Abhängigkeiten von fossiler Energie vermieden werden müssen. Diese Abhängigkeiten werden jedoch nicht reduziert, wenn einfach nur die Lieferländer ausgetauscht werden – Russland gegen Katar. Dies mag zu einer Diversifizierung beitragen, löst aber die mit der Lieferung von fossiler Energie einhergehenden Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsprobleme nicht. Ganz im Gegenteil: Es schnappt gegenwärtig eine fossile Falle zu. Für zusätzliche Lieferung aus anderen Förderländern müssen angesichts bestehender vertraglicher Verpflichtungen neue Förderprojekte erst einmal in Betrieb genommen werden. Sprich: Diese Strategie des Lieferantentauschs löst eine neue fossile Produktion und damit zusätzliche Treibhausgasemissionen aus.

Dies gilt ebenso für eine Lieferung von Flüssigerdgas aus der Demokratie USA: Hier erleben viele Fracking-Projekte angesichts explodierender Gaspreise einen unerwarteten zweiten Frühling. Angefeuert wird dies von einer langfristigen Liefervereinbarung, die EU Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Jo Biden geschlossen haben. Gerade diese auf Langfristigkeit ausgerichtete Vereinbarung schafft eine neue Abhängigkeit, die in den USA zu einer Ausweitung der extrem umwelt- und klimaschädlichen Fracking-Produktion führen wird. US-Amerikanische Umweltorganisation wie der Sierra Club sehen durch die Pläne die Einhaltung der nationalen Klimaziele gefährdet. Die Verantwortung dafür liegt auch bei uns: Das in den USA produzierte Fracking-Gas wird dann in deutschen Heizungskellern für Wärme sorgen. Die Klimabilanz auf beiden Seiten des Atlantiks wäre verheerend.

Es müssen keine neuen Flüssigerdgas-Terminals in Deutschland gebaut werden

Nun dürfen sich die politischen Fehler aus Planung und Bau von Nord Stream 2 nicht bei den geplanten Flüssigerdgasterminals wiederholen: Anstatt Kritik in den Wind zu schlagen und Fragen unbeantwortet zu lassen, muss die Bundesregierung eine an nachvollziehbaren und transparenten Kriterien orientierte Entscheidung treffen. Dazu gehört an erster Stelle die Frage, ob die Schaffung einer neuen Abhängigkeit von fossilen Energieimporten überhaupt nötig ist.

Beantwortet hat dies gerade das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer umfassenden Untersuchung: Demnach lassen sich russische Gaslieferungen vollständig ersetzen, ohne dass neue Flüssigerdgas-Terminals in Deutschland gebaut werden müssen. Dafür muss massiv in die Reduktion des Energieverbrauchs investiert werden, der Ausbau Erneuerbarer sich weiter beschleunigen und die Beschaffung von Flüssigerdgas über bestehende Terminals im Ausland mit den europäischen Nachbarn koordiniert werden.

Dies sind alles Maßnahmen, die eine große politische Kraftanstrengung erfordern. Dies gilt aber ebenso für den gegenwärtig verfolgten Neubau von Flüssigerdgasterminals, die als gefährliche Störfallbetriebe vor komplexen und langwierigen Genehmigungsverfahren stehen.

Dagegen bietet die Alternative aus Einsparungen, Erneuerbaren und europäischer Kooperation kurz-, mittel- und langfristig viel größere Chancen: Kurzfristig kann die Absage der russischen Gaslieferungen die notwendige Veränderungsbereitschaft herstellen, um die Alternativen endlich in der notwendigen Geschwindigkeit voran zu bringen. Zudem sind Energieeinsparungen z.B. über ein Tempolimit tatsächlich möglich, während Flüssigerdgasterminals erst in einigen Jahren zur Verfügung stehen können. Mittel- und langfristig winken nicht nur deutlich geringere volkswirtschaftliche Kosten, sondern auch erhebliche CO2-Einsparungen.

Deutschland kann die Energiewende als Energieimporteur gestalten 

Die Herausforderung, neue Abhängigkeiten zu vermeiden, wird jedoch bestehen bleiben: Es ist eindeutig, dass Deutschland angesichts seiner Bevölkerungs- und Industriestruktur sowie in Anbetracht der zur Verfügung stehenden Flächen ein Energieimporteur bleiben wird. Dafür werden eine Infrastruktur und die Partnerschaft mit Energielieferanten erforderlich sein.

Der Aufbau dieser Partnerschaften bietet nun eine große Chance: Sie können, müssen aber nicht orientiert sein an den traditionellen Lieferländern fossiler Energie. Ein interessantes Beispiel ist Norwegen: Das Land verfügt über große Potenziale für erneuerbare Energie, auf deren Basis eine Versorgung mit grünen Wasserstoff aufgebaut werden kann.

Darüber hinaus bietet sich aber vor allem die Chance, die Produktion von erneuerbarer Energien mit der Energiewende in den Herkunftsländern zu verknüpfen. Eine Einbettung in andere Politikbereiche wie der Klima-, Menschenrechts- und Demokratiepolitik sind ebenso dringend erforderlich! Der damit einhergehende Ausbau erneuerbarer Energien und der Umbau von Wertschöpfungsketten kann und muss zu wirtschaftlicher Prosperität, entwicklungspolitischer Gerechtigkeit und Stärkung von Menschenrechten und Klimaschutz führen.

Mit Energiepartnerschaften Klimaziele einhalten

Dies macht einen koordinierten Ansatz der Bundesregierung erforderlich: Während die Energiepartnerschaften traditionell im Bundeswirtschaftsministerium verantwortet werden, ist das Auswärtige Amt für die Internationale Klimapolitik verantwortlich. Auch die Einbeziehung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ist ein wichtiger Baustein. Gemeinsam müssen diese Häuser eine Strategie für die Herkunft erneuerbarer Energie entwickeln, die nicht nur den Energiehunger in Deutschland bedient, sondern auch die Entwicklungsinteressen der Herkunftsländer sowie die globalen Klimaschutzziele integriert.

Abhängigkeiten können in diesem Kontext auch positiv als Verbindlichkeiten definiert werden. Unsere Partner für die Energiewende werden für die anstehenden Investitionen ebenso Zuverlässigkeit brauchen, wie wir für die notwendigen Investitionen hierzulande. Die neuen Bündnisse bestehen aus Gegenseitigkeit. Die Partnerschaften brauchen deshalb ein starkes Wertefundament – dies unterscheidet sie ganz maßgeblich von einseitigen Abhängigkeiten, wie wir sie heute sehen.

Die Bundesregierung muss sich den Aufbau dieser Partnerschaften zur wichtigsten energiepolitischen Aufgabe machen. Daran wird sich entscheiden, ob wir langfristig die Klimaziele einhalten können. Dieser Weg bietet die Chance, alte Abhängigkeiten zu lösen und neue gemeinschaftliche Verbindungen aufzubauen.