Das Aus der Kohle bringt Änderungen für die Region, die Wirtschaft und die Menschen. Es birgt auch viele Chancen für einen echten Neubeginn.
Am 12. März 2018 wurde in Berlin der Koalitionsvertrag zwischen der CDU/CSU und der SPD unterzeichnet. Auf Seite 17 wird die Einrichtung einer Kommission „zur Reduzierung der Kohleverstromung und zur Absicherung des notwendigen Strukturwandels“ angekündigt. Am 6. Juni 2018 nimmt die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, genannt „Kohlekommission“, ihre Arbeit auf. Ihr gehören Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft, Umweltverbänden, Forschung und Gewerkschaften an. Aus dem ambitionierten Zeitplan bis Ende des Jahres einen Ausstiegspfad für die Kohleindustrie vorzulegen, um die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen und „Vorschläge für eine Strukturentwicklung in den betroffenen Regionen vor[zu]legen, mit denen Wachstum und Beschäftigung gestärkt werden sollen“ schlägt fehl. Nach einer Hauruckaktion liegt der Abschlussbericht dann im Januar 2019 vor. Das Gesetz zum Kohleausstieg und für die notwendigen Strukturwandelmaßnahmen wird erst im Juli 2020 beschlossen. Es erntet massive Kritik durch die Umweltverbände, denn der geplante Ausstiegspfad reicht weder, um die bundesdeutschen Klimaziele zu erreichen noch für das völkerrechtlich verbindliche Pariser 1,5 Grad-Ziel. Neben dem Kohleausstieg steht immer auch der „notwendige Strukturwandel“ im Fokus. Doch was bedeutet Strukturwandel überhaupt?
Im Duden wird er als „Wandel, Änderung, Umgestaltung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen o. ä. Struktur“ beschrieben. Das Mandat für die Kohlekommission verdeutlicht schon mehr, worum es geht: das wirtschaftliche Wachstum und die Beschäftigung „sollen“ gestärkt werden. Die Idee des Wandels wird also nur dadurch beschrieben, dass davon ausgegangen wird, dass es ein Ende der Braunkohleindustrie und ihrer Strukturen geben wird und dann etwas anderes mit neuen Strukturen entstehen wird. Grundsätzlich soll im Sinne der Kommission vermieden werden, dass durch das Aus der Kohle die Wirtschaft in den betroffenen Regionen einbricht und die Arbeitslosigkeit steigt. Aktuell liegt die Arbeitslosigkeit in der Lausitz bei 6,4 % und im Leipziger Land (mit dem Mitteldeutschen Braunkohlerevier) bei 5,4 %. Insgesamt gibt es in den drei sächsischen Landkreisen mit Braunkohleindustrie Leipziger Land, Bautzen und Görlitz rund 360.000 Erwerbstätige. In der gesamten Braunkohleindustrie im Mitteldeutschen Revier (inkl. Sachsen-Anhalt) und der brandenburgischsächsischen Lausitz arbeiten rund 10.000 Menschen und gemäß einer Studie des Bundesverbands Braunkohle rund 24.000 abhängig Beschäftigte.
Nicht einmal 10 % der Erwerbstätigen in den Regionen. Gleichzeitig boomt der Wirtschaftsraum Leipzig, während es in der Lausitz tatsächlich an Impulsen fehlt. Insbesondere den Erwerbstätigen und abhängigen Unternehmen dort sollen durch den Strukturwandel eine Perspektive eröffnet werden. Das ist auch notwendig, denn einen Strukturwandel auf die harte Tour haben beide Regionen nach der Wende 1989 bereits hinter sich. Damals waren fast 140.000 Menschen in der Braunkohle beschäftigt, von denen die Mehrzahl binnen weniger Jahre ihren Job verloren hat.
Dass Strukturwandel funktioniert, zeigt beispielsweise das Ruhrgebiet, dass sich von einer Steinkohle- und Schwerindustrieregion zu einer Kultur-, Dienstleistungs- und Tourismusregion gewandelt hat. An der schottischen Kanalküste lässt sich ein anderes Beispiel des Strukturwandels beobachten: Auch hier gibt es mit dem raschen Zusammenbruch der Nordsee-Erdölindustrie einen Strukturwandel „auf die harte Tour“. In Deutschland stehen bis 2038 40 Milliarden Euro bereit, um den Strukturwandel in den Regionen zu ermöglichen. Das haben die vier Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen in Berlin ausgehandelt. Dieses Geld soll aus den Kohleregionen „Zukunftsregionen“ machen. Bspw. „Beschäftigte, die mindestens 58 Jahre alt sind und durch den Kohleausstieg ihren Arbeitsplatz in einem Kraftwerk oder Tagebau verlieren, können ein[e] Überbrückungshilfe [erhalten] … mögliche Rentenabschläge … können ausgeglichen werden.“ „Zukunftsregionen“ sollten sich aber weniger dadurch auszeichnen, dass für ältere Beschäftigte gesorgt wird, sondern dadurch, dass jüngeren Menschen eine Perspektive gegeben wird, in der Region zu leben und zu arbeiten und zuallererst zu bleiben, denn Städte wie Weißwasser oder Hoyerswerda haben seit 1989 mehr als die Hälfte ihrer Einwohnerschaft verloren. Nach einer monostrukturell auf die Braunkohleindustrie ausgerichteten Wirtschaft muss nun eine vielfältige Wirtschaft entstehen, welche die Menschen zum Bleiben bewegt und neue Menschen in die Region zieht. Der Strukturwandel und die eingeleiteten Maßnahmen müssen von den Menschen vor Ort akzeptiert werden. Es muss eine vielfältige Erwerbssituation geschaffen werden, die sowohl für ehemalige Braunkohlemitarbeitende, wie junge Dableibende und Zuziehende eine Perspektive schafft. All das unter der Prämisse, dass sich wirklich ein Wandel der Strukturen einstellt, denn denkbar wäre beispielsweise auch, dass die alten Beschäftigungsstrukturen erhalten bleiben und nun die ehemaligen Braunkohleindustrieriesen einzig ihre Geschäftsfelder ändern. Dann wären vielleicht der Einbruch der Wirtschaft und möglicherweise auch eine größere Welle der Arbeitslosigkeit verhindert – die Struktur mit der Fokussierung auf einen großen Arbeitgeber und die Anfälligkeit gegen Krisen aber bliebe erhalten. Um das zu verhindern und beispielsweise in der Lausitz eine „attraktive und zukunftsgerichtete Wirtschaftsregion mit neuen Wertschöpfungsketten aufzubauen“, waren die Braunkohleländer angehalten, der „Kohlekommission“ Vorschläge für den Wandel zu unterbreiten. Diese Liste – immerhin rund 150 Seiten lang – liest sich an vielen Stellen wie eine Wunschliste dessen, was sich die Ministerpräsidenten bzw. Landräte und regionale Politik schon immer für ihre Region gewünscht haben. Das mag zwar vielfältig sein. Doch in welcher Form sorgt beispielsweise das Naturkundemuseum Leipzig für den Strukturwandel in der Braunkohleregion? Denn das Museum liegt IN Leipzig, die Strukturwandelregion aber im Leipziger Süden. Es bedarf also noch eines weiteren Faktors, nämlich dass die Regionen ihre Möglichkeiten und Stärken nutzen. Im Mitteldeutschen Revier ist eine dieser Stärken sicher die Nähe zum Agglomerationsraum Leipzig-Halle mit hervorragend ausgebauter Verkehrsinfrastruktur und schon jetzt einer deutlich ausdifferenzierten Wirtschafts- und Erwerbsstruktur, die eigentlich alles bietet zwischen Dienstleistung und Produktion und mit der touristischen wie urbanen Erschließung vom Leipziger Neuseenland auch diese Region fest an den Ballungsraum kettet. Nicht zuletzt sind hier nur wenige Tausend (abhängige) Arbeitsplätze aus der Braunkohlewirtschaft zu kompensieren. Anders dagegen die Lausitz, der die Anbindung an große städtische Ballungsräume fehlt und die auch verkehrlich bis heute eher am Rand der Republik liegt. Die Stärke dieser Region liegt darin, genau diese Randsituation auszunutzen. Im industriewirtschaftlichen Bereich ist mit der LEAG ein Player vorhanden, der auch im Bereich der Erneuerbaren Energien seine energiewirtschaftlichen Kompetenzen ausspielen könnte. Wirtschaftlich mag auch die Nähe zu Polen eine Rolle spielen. Die vielen Bergbaufolgelandschaften bieten vielfältiges Potenzial: die Tagebaurestseen für den Boots- und Badetourismus wie auch für behutsamen Naturtourismus bei Ausweisung als Naturschutzgebiete; die übrigen Flächen für eine energiewirtschaftlichen Nutzung für die erneuerbaren Energieträger, wie eine Studie von IÖW und BTU Cottbus-Senftenberg zeigt oder ebenfalls zur Einrichtung großer Naturschutzgebiete, in denen sich eines Tages vielleicht wieder die Big Five Mitteleuropas, Hirsch, Elch, Wisent, Wolf und Luchs guten Tag sagen könnten. Derartige große Naturschutzgebiete sind eine gute Chance für den weltweit boomenden Naturtourismus. Eine Tätigkeit, die der Region auch langfristig erhalten bleiben dürfte, ist die Sanierung der Bergbaufolgelandschaften, die von der LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH) übernommen wird.
Vorsicht ist in beiden Bergbauregionen beim Ausbau bestimmter Industrien oder übermäßiger Verkehrserschließungen geboten. Denn das durch das Ende der Braunkohleverstromung eingesparte Kohlendioxid darf nicht etwa in anderen CO2-intensiven Industrien oder gar einer verstärkten stofflichen Nutzung der Braunkohle, wie sie immer mal wieder gefordert wird, münden. Jetzt heißt es die Qualitäten der Regionen neu zu entdecken und hervorzuheben. Andere Regionen haben es vorgemacht und auch die östlichen Braunkohlegebiete werden durch neue Ideen wieder Aufwind erfahren.