Kurze Einführung in die Kolonialgeschichte Australiens

Eine kurze Darstellung kolonialer Machtstrukturen und ihrer Verfestigung in Australien ab den 1770ern bis heute

 

Gemälde von Emanuel Phillips Fox: Landung von Captain Cook in der Botany Bay (1770), National Gallery of Victoria

2020 feiert Australien den 250. Geburtstag der ersten Landung der Brit*innen bei Botany Bay. Die Bucht in der Nähe der heutigen Stadt Sydney wurde von den dort bereits tausende von Jahren lebenden Menschen Kamay genannt. Durch die neuen europäischen Namen für Orte, Flüsse und Berge haben Entdeckungsreisende und Kolonisten diese Menschen und ihre über 40.000 Jahre existierende Kultur praktisch aus der Geschichte gelöscht. Für viele nicht-indigene Einwohner*innen Australiens beginnt die Geschichte des Kontinents am 29. April 1770 oder spätestens am 26. Januar 1788, als die ersten Sträflinge nach Botany Bay deportiert wurden. Der 26. Januar ist ein Feiertag und heißt offiziell Australia Day. Aboriginal People nennen den Tag Invasion Day oder Survival Day.

Obwohl die Tagebücher der ersten europäischen Besucher*innen die Anwesenheit von Menschen erwähnen, wurde das Land als Terra Nullius (Land das niemanden gehört) betrachtet und einseitig für die britische Krone in Besitz genommen. Die komplexen gesellschaftlichen Strukturen der geschätzten 600 verschiedenen Nationen mit ihren umfangreichen ungeschriebenen Gesetzen und Vereinbarungen wurden nicht wahrgenommen. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts, so belegen zahlreiche offizielle Dokumente, war den Brit*innen aber klar, dass die vielen Nationen eine enge spirituelle, aber auch wirtschaftliche Bindung zu ihrem Land haben. Doch diese Erkenntnis wurde bis in die 1990er Jahre ignoriert, denn die endlosen grünen Wiesen und die vielen Reichtümer im Boden waren zu attraktiv, als dass die Europäer*innen diesen hätten widerstehen können.

Massaker an Aboriginals durch britische Truppen (1852)

Dort, wo Aboriginal People Anfang des 19. Jahrhunderts nicht bereits importierten Krankheiten erlagen, wurden sie brutal von ihrem Land vertrieben. Die mündlich überlieferten Geschichten über Massaker sind zahlreich, aber auch in den geschriebenen Dokumenten der Europäer*innen liest man explizit oder zwischen den Zeilen über die grausame Ausrottung der Aboriginal People. Viele suchten Zuflucht in Missionen oder in Reservaten, die von den Brit*innen gegründet wurden.

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde allgemein angenommen, dass die Aboriginal People aussterben würden. Ihre Anzahl sank innerhalb eines Jahrhunderts von geschätzten 300.000 auf knapp 100.000. Die Brit*innen führten daher ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine Segregationspolitik ein. Durch die sogenannten Protection Acts, die eigentlich zum Schutz dienen sollten, wurden Aboriginal People gesetzlich unter Aufsicht gestellt und in Reservaten untergebracht, wo sie unauffällig und zu möglichst niedrigen Kosten sterben sollten. Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs die Schwarze Bevölkerung aber wieder. Nun wurden im Rahmen einer neuen Politik „reinrassige“ Menschen von Hellhäutigen getrennt. Ziel war es, Menschen aus gemischten Beziehungen in der weißen australischen Bevölkerung zu absorbieren. Die immer noch existierenden Protection Acts in Kombination mit neuen Assimilationsgesetzen machten eine nahezu vollständige Kontrolle über die Leben dieser Menschen möglich. Sie erlaubten Beamten, Vätern und Müttern ihre Kinder zu entreißen – die späteren Stolen Generations. Erst 2008 sprach die Regierung eine offizielle Entschuldigung aus. Die Gesetzgebung machte auch Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse möglich. Im Juli 2019 einigten sich 10.000 Aboriginal Arbeiter*innen im Bundesstaat Queensland, deren Löhne zwischen 1939 und 1972 unter den Protection Acts gestohlen wurden, mit der Bundesregierung auf eine Entschädigung in Höhe von 190 Millionen australischen Dollar (ungefähr 118 Millionen Euro).

Die Unterdrückung und Ausbeutung der Aboriginal People führte in den 1920er Jahren zur Gründung diverser Schwarzer Bürgerrechtsgruppierungen, aus denen später eine Landrechtebewegung hervorging. Die Souveränität des australischen Staates, die auf dem Konzept der Terra Nullius basierte, wurde nun sowohl auf der Straße als auch vor Gericht von Aboriginal People hinterfragt. Gleichzeitig wuchs unter dem Einfluss der Unabhängigkeit vieler ehemaliger Kolonien weltweit auch der internationale Druck auf Australien. Dies führte 1972 letztendlich zu einem politischen Machtwechsel und einer neuen Politik, die die Selbstbestimmung ins Zentrum stellte. Im neuen Klima wurden von Aboriginal People geführte Graswurzelorganisationen im Bereich Gesundheit, Wohnen, Kunst und Recht gegründet. 1976 trat das erste Landrechtegesetz in Kraft, aufgrund dessen Aboriginal People im Bundesterritorium Northern Territory Ansprüche auf ihr Land geltend machen konnten. 1992 wurde schließlich im berühmten Mabo-Verfahren das Konzept der Terra Nullius verworfen. Dies führte aber nicht zu einer Rückgabe von gestohlenem Land, sondern zur Einführung der Rechtsauslegung Native Title. Native Title ist kein Eigentumsrecht, sondern ein relativ schwaches Nutzungsrecht an Land und Wasser. Die Souveränität Australiens blieb unangetastet dank eines juristischen Konstrukts, das trotz Massaker und Landraub besagt, dass der Kontinent friedlich besiedelt wurde. Sowohl das Native Title-Gesetz, das nach Mabo eingeführt wurde, als auch das viel stärkere Landrechtegesetz im Northern Territory werden immer wieder mit Füßen getreten, damit (internationale) Bergbaukonzerne und die mächtige Viehindustrie nicht in ihren Aktivitäten beschränkt werden.

Die wachsende Berücksichtigung der Rechte von Aboriginal People wurde von vielen Mitgliedern der dominanten weißen Bevölkerung mit europäischem Hintergrund als Bedrohung ihrer Privilegien empfunden. Dies führte 1996 zu einer Rückkehr zur Assimilationspolitik. Wurde die erste Assimilationspolitik noch von der Australian Labor Party abgeschafft, so wird die neue Politik mittlerweile von ihr mitgetragen. Heute werden mehr Kinder ihren Familien entrissen als auf dem Höhepunkt der Stolen Generations-Ära. Aboriginal People gehören zu den meist-inhaftierten Menschen in Australien, obwohl sie nur 2 % der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die Selbstmordrate unter Aboriginal Kindern gehört zu den höchsten der Welt. Zudem sterben noch immer Aboriginal People durchschnittlich etwa 10 Jahre früher als andere Australier*innen. Kompensierung für gestohlenes Land, für das koloniale Trauma, das von einer Generation auf die nächste übergeht und für die Vernichtung der Kultur ist weiterhin nicht in Sicht.