Hetze gegen die vermeintliche „Lügenpresse“ ist so weit verbreitet, dass eine Morddrohung kaum noch zu einem Skandal taugt. Hinter den rechten Angriffen auf Reporterinnen und Reportern verbirgt sich eine Strategie, mit der sich die Gesellschaft auseinandersetzen muss.
Es ist der 1. September 2018 in Chemnitz. Bei der Kundgebung von „Pro Chemnitz“, AfD und Pegida versammeln sich 8.000 Demonstrantinnen und Demonstranten. Am Rande kommt es zu mehreren Gewalttaten gegen Journalistinnen und Reporter, die unter anderem für die ARD, MDR, Buzzfeed, Straßengezwitscher oder Zeit Online arbeiten. Sie werden beleidigt und bespuckt, geschlagen und getreten.
Auf Twitter sind viele dieser Vorfälle dokumentiert. In einer kurzen Videosequenz etwa schlägt ein Mann mittleren Alters einem Reporter mit seiner Krücke ins Gesicht und gegen die Kamera. In einer anderen Aufnahme wird die filmende Journalistin zunächst angebrüllt, dann geht der bullige Mann auf sie los. Dazu hört man im Hintergrund immer wieder Rufe wie „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“. Meist eskaliert die Situation innerhalb weniger Sekunden. Die Feindbilder der Demonstrant/innen sind dabei offensichtlich: die objektive Berichterstattung durch seriöse Medien.
Fast 100 gewaltsame Angriffe in vier Jahren
Solche Angriffe sind in den letzten Jahren keine Seltenheit, wie Zahlen vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) belegen. 96 gewaltsame Angriffe gegen Journalist/innen wurden dort in den letzten vier Jahren registriert, darunter Beleidigungen, Morddrohungen und physische Übergriffe. Auch 2018 hat das ECPMF wieder 26 Angriffe gegen Journalist/innen dokumentiert, von denen 22 einen politisch rechten Hintergrund hatten (ECPMF: Feindbild Journalist, Report 2018).
Neben gezielten Attacken von organisierten Rechtsextremist/innen ereignete sich die Mehrzahl der Gewalttaten spontan auf Versammlungen der politischen Rechten und in deren Umfeld.
„Als im Jahr 2016 die Zahlen zurückgingen und 2017 ‚nur‘ noch acht Fälle zu registrieren waren, schien dies ein Indiz für eine allgemeine Beruhigung der Lage. Tatsächlich jedoch hielt diese Entwicklung nicht an. Sie ist vor allem auf eine geringe Anzahl großer Versammlungen und damit einhergehender Konfrontationsgelegenheiten zurückzuführen“,
heißt es im aktuellen Jahresbericht von ECPMF. Meist werden dabei jene Journalist/innen zum Ziel, die leicht als Pressevertreter/innen zu erkennen sind – wie etwa Fotografen, Kamerateams oder Reporterinnen vor Übertragungswägen von Radio- und Fernsehteams.
Die „Augenzeugen“ vom Deutschen Journalisten Verband
Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) hat bereits 2015 auf diese Entwicklung reagiert. Auf dem Blog „Augenzeugen“ werden Berichte von Journalist/innen gesammelt und Interviews mit Politiker/innen geführt, um Übergriffe sichtbar zu machen. So sollen die Zahlen des ECPMF um eine qualitative Komponente ergänzt werden.
Laut Frank Überall, dem Bundesvorsitzenden des DJV, haben sich die Anfeindungen dramatisch verändert: „Auch früher ist man auf rechten Demonstrationen als Journalist beschimpft worden. Das war nicht schön, aber meist ungefährlich.“ Mittlerweile haben die Einschüchterungsversuche und die Gewalttaten jedoch eine andere Qualität erreicht. Deswegen habe man sich beim DJV entschieden, aktiv mit den Mitteln der Demokratie gegen die Feinde der Demokratie vorzugehen.
Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall erklärt, warum eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit rechter Gewalt gegen Journalist/innen notwendig ist: „Wir müssen nicht nur das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit durchsetzen, sondern auch das Grundrecht auf Pressefreiheit.“ Dabei sieht er insbesondere die Politik und die Polizei in der Pflicht. Es sei die politische Verantwortung von Politiker/innen, die Relevanz der Pressefreiheit bereits in der Aus- und Weiterbildung von Polizistinnen und Polizisten zu verankern. Zudem müsse es auf Demonstrationen für Reporter/innen klar zu erkennende und kompetente Ansprechpartner bei der Polizei geben.
„Lügenpresse“ – auf der Straße und im Netz
Im Zentrum der rechten Anfeindungen steht auf der Straße und im Internet der Begriff der „Lügenpresse“. Das Wort war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Konservativen beliebt. Schon lange wird es in meist rechten Kreisen verwendet, um das Feindbild einer manipulierten und manipulativen Berichterstattung zu etablieren. Spätestens seitdem „Lügenpresse“ auf Demonstrationen von AfD und PEGIDA skandiert wird, ist der Begriff im Vokabular rechter Akteur/innen wieder weit verbreitet. Auch im Internet findet er Verwendung, um ein fundamentales Misstrauen gegenüber der freien Berichterstattung zum Ausdruck zu bringen. Letztlich dient er aber vor allem als ideologische Grundlage und perfide Legitimation für Gewalttaten gegen Journalist/innen.
Durch den ständigen Vorwurf der „Lügenpresse“ sinkt die Hemmschwelle zur Gewalt auch bei jenen Menschen, die zuvor nicht als Rechtsradikale in Erscheinung getreten sind. Pressefeindliche Wortbeiträge bei Demonstrationen gehen einher mit Hetze in den sozialen Medien. Gemeinsam erzeugen sie eine Stimmung, in der Gewalt gegen Journalist/innen den rechten Demonstrant/innen und organisierten Neonazis als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung erscheint. Dabei schlagen bürgerlich auftretende Demonstrantinnen und Demonstranten mittlerweile eher zu als jene, die fest in rechtsextremen Strukturen verankert sind.
"Eine Morddrohung taugt nicht mehr zum Skandal“
Der freie Journalist Henrik Merker hat die Auswirkungen dieser Entwicklung selbst zu spüren bekommen. Merker arbeitet unter anderem für den Störungsmelder von Zeit Online, wo aktuelle Informationen über die extreme Rechte veröffentlicht werden. Er ist regelmäßig als Berichterstatter bei rechten Demonstrationen dabei. In Chemnitz, wo er selbst mit einer Flasche beworfen wurde, hat er mehrere Reporter/innen gesehen, die bei den Kundgebungen verletzt wurden. Er sagt:
„Die Öffentlichkeit hat sich an ein gewisses Maß an Gewalt gegen Journalisten gewöhnt. Heute taugt es nicht mehr zum Skandal, wenn ein Reporter eine Morddrohung bekommt.“
Laut Henrik Merker gibt es verschiedene Strategien, mit denen Rechte gegen eine freie Berichterstattung vorgehen: So wurde 2018 in Chemnitz versucht, Reporter/innen in Hauseingänge oder in Seitenstraßen zu drängen, wo sich den Angreifern dann in Abwesenheit der Polizei die Gelegenheit biete, Reporterinnen und Reporter tätlich anzugreifen und die Aufnahmetechnik zu beschädigen.
In anderen Situationen gehe es eher darum, die Journalistinnen und Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern. Hierbei beschweren sich die rechten Demonstrationsteilnehmer/innen zunächst bei der Polizei lautstark über vermeintlich unzulässige Aufnahmen. Häufig fordern sie, die Kamera und den Presseausweis zu kontrollieren und Bilder zu löschen. Oft wird mit einer Anzeige gedroht.
Für die Journalistinnen und Fotografen eine schwierige Situation, da sie in der Zeit ihrer Arbeit nicht nachgehen können und auch die Polizistinnen und Polizisten machen sich möglicherweise strafbar, wenn sie den Forderungen der rechten Demonstrant/innen nachkommen, weil Presse-Aufnahmen durch die Strafprozessordnung besonders geschützt werden. „Ein Polizeisprecher sagte mir, dass es in stressigen Situationen oft schwer sei, zwischen dem bundeseinheitlichen Presseausweis und falschen Dokumenten zu unterscheiden", meint Henrik Merker dazu.
Die Sorge vor veröffentlichten Adressen und Telefonnummern
Diese Gefahrensituation wirkt sich direkt auf das Verhalten aus: Bei Großdemonstrationen treten erfahrene Journalistinnen und Journalisten inzwischen mit Helmen auf, in Chemnitz hatten viele zu ihrer Sicherheit sogar Security dabei. Von Organisationen wie dem DJV und Reporter ohne Grenzen wird deshalb ein besserer Schutz der Presse durch die Polizei gefordert.
Trotz dieser zunehmenden Gewalterfahrungen stellen viele Journalist/innen keine Anzeige. Zu groß ist die Angst, dass dadurch die persönlichen Kontaktdaten in rechten Kreisen bekannt werden könnten. Diese Sorge ist nicht unberechtigt. Wiederholt wurden die Namen, Adressen und Telefonnummern von Journalistinnen und Journalisten im Internet veröffentlicht. Damit einhergehend wird von organisierten Neonazis explizit zur Gewalt aufgerufen. In der Folge kam es etwa zu nächtlichen Farbattacken, fingierten Todesanzeige, anonymen Anrufen oder Körperverletzungen im unmittelbaren Wohnumfeld.
Ziel solcher Attacken waren unter anderem Journalistinnen und Journalisten, die für große Zeitungen wie die Ruhr Nachrichten, den Tagesspiegel oder die taz tätig sind. Ihre Beispiele zeigen: Neonazis mit einer gefestigten Ideologie gehen deutlich strategischer und überlegter vor, als die vermeintlich harmlosen, besorgten Bürger/innen auf rechten Demonstrationen. Gemeinsam ist Ihnen jedoch das Ziel, eine freie Berichterstattung zu unterbinden.
Keine Pressefreiheit ohne freie Berichterstattung
In der Rangliste der Pressefreiheit 2018 von Reporter ohne Grenzen lag Deutschland zuletzt auf dem 15. Platz, im Mittelfeld der EU-Staaten. Grund für diese ernüchternde Platzierung sind insbesondere die tätlichen Angriffe, Drohungen und Einschüchterungsversuche gegen Journalist/innen. Von einer Verbesserung der Situation ist in näherer Zukunft nicht auszugehen, verfügen rechte und rechtsextreme Akteure doch weiterhin über ein hohes Mobilisierungspotenzial, dem die demokratische Gesellschaft bisher eher wenig entgegensetzt. Dieses Potenzial wird angesichts der kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen wieder aktiviert werden.
Es kann davon ausgegangen werden, dass sich auch die Journalist/innen von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen dann erneut mit Hetze und Gewalt gegen die „Lügenpresse“ konfrontiert sehen.