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Praktikum beim Griechischen Flüchtlingsrat

Nach dem Abschluss meiner Bachelorarbeit im Fach Politikwissenschaft und mit Aussicht auf ein paar Monate Freizeit hatte ich vor, ein lang gehegtes Vorhaben endlich zu verwirklichen und eine längere Zeit in Griechenland zu verbringen – ein Land, das ich aus zahlreichen Urlauben und biographischen Verbindungen kenne und schätze. Abgesehen von meiner persönlichen Verbindung zu Griechenland beschäftigten mich in letzter Zeit vor allem die gesellschaftlichen Entwicklungen vor Ort und die besondere Rolle, die das Land an der EU-Außengrenze für die europäische Flüchtlingspolitik einnimmt. Bereits in Dresden begann ich mich für Migrationspolitik zu interessieren und in der «Kontaktgruppe Asyl» und dem «Netzwerk Asyl Migration Flucht» zu engagieren. Im Rahmen meines Praktikums bei «Weiterdenken» hatte ich dann die Gelegenheit mit dem leitenden Juristen des griechischen Flüchtlingsrats in Kontakt zu treten und entschied mich schließlich, ein Erasmus-Praktikum im Umfang von drei Monaten in Athen zu absolvieren.

Am 14. April 2014 landete ich in Athen und hatte eineinhalb Wochen Zeit, mich mit der Stadt,  die etwa die Hälfte der Bevölkerung Griechenlands beherbergt, vertraut zu machen. Seit 2008 hat sich vieles verändert in dem Land. Die Finanz- und Wirtschaftskrise sowie die Austeritätspolitik haben Griechenland im Vergleich zu Portugal, Spanien, Italien und Irland besonders stark getroffen, das Land gesellschaftlich destabilisiert und zur Prekarisierung geführt. Die extreme soziale Schieflage, ein bis vor 2013 nicht vorhandenes Asylsystem und latente rassistische Einstellungen in der griechischen Gesellschaft waren Nährboden für die populäre ultrarechte Partei «ΧΡΥΣΗ ΑΥΓΗ” (dt.: Goldene Morgenröte) und ihre rassistische Propaganda. Die Massenproteste und Ausschreitungen der ersten Jahre nach der Krise  in Griechenland hatten keinerlei Wirkung auf die Sparpolitik. Als Folge, so scheint es, wurde die Frustration und Wut einiger politisch unentschlossener Bürger_innen zunehmend von den eigentlichen Ursachen der Krise – die deregulierte globale Finanzwirtschaft, das instabile Wirtschaftssystem und politische Korruption – abgelenkt und begann sich zunehmend in rassistischen Übergriffen und Fremdenfeindlichkeit im Alltag zu entladen. Auch homophobe Attacken und männliche Gewalt gegen Frauen haben seit Beginn der Krise deutlich zugenommen. Die allgegenwärtige Präsenz von Polizist_innen in militärischer Einsatzmontur trägt darüber hinaus nicht minder zu dem Gefühl bei, sich in einer permanenten Situation latenter Bedrohung zu befinden.

Viele Flüchtlinge, die in Griechenland ankommen, wollen dort aufgrund der Krise und  der gesellschaftlichen und staatlichen Repression nicht bleiben. Um in einem anderen europäischen Land als Asylsuchende_r anerkannt zu werden, müssen sie deshalb das Land durchqueren ohne einen Asylantrag zu stellen. Dies wiederum bedeutet ein Leben in Illegalität, Armut und Obdachlosigkeit unter ständiger Gefahr für Monate bis Jahre inhaftiert zu werden oder Opfer  rassistischer Übergriffe zu werden.

Der griechische Flüchtlingsrat ist als UN-assoziierte NGO eine der wichtigsten Organisationen, die sich für die Belange von Geflüchteten gegenüber dem griechischen Staat, der konservativen griechischen Regierung unter Andonis Samaras (Nea Demokratia) und der Europäischen Union einsetzt. Insgesamt verfügt der Flüchtlingsrat über folgende Arbeitsbereiche: soziale Betreuung, Fundraising- und Öffentlichkeitsarbeit und Rechtsberatung und -Begleitung.  Eine der Hauptaufgaben des Flüchtlingsrates ist es, die griechische Gesetzgebung und Migrationspolitik bezüglich ihrer Konformität mit europäischem und internationalem Recht sowie die Einhaltung humanitärer Standards zu kontrollieren. Hierfür arbeitet der Flüchtlingsrat eng mit dem Europäischen Flüchtlingsrat und verschiedenen NGOs in Europa zusammen. Die zweite wesentliche Kompetenz des Flüchtlingsrates besteht darin, Asylsuchende auf rechtlicher und sozialer Ebene zu unterstützen, sei es durch kostenlosen Rechtsbeistand, Vermittlung an Sozialarbeiter_innen und Psycholog_innen oder kostenlose Sprachkursangebote.

Mein Praktikum beim Flüchtlingsrat in Athen begann im April 2014 in der Rechtsabteilung. Die Arbeitsatmosphäre ist sehr angespannt und von den prekären Bedingungen geprägt. Hinzu kommt, dass die vielen persönlichen Fluchtgeschichten, die meist nur einen Arm breit von mir im Interview erfragt werden müssen, alles andere als Balsam für die Seele der zuständigen Kolleg_innen sind und der Umgang mit Behörden in Griechland extrem kräftezehrend ist. Mein persönlicher Aufgabenbereich beschränkt sich meist auf Recherchetätigkeiten und kleinere Beiträge zu Berichten. Bei der Recherche geht es darum, Asylanträge oder Einsprüche gegen ihre Ablehnung durch konkrete Fakten und Berichte zu untermauern. Des Weiteren helfe ich dabei, Hintergrundberichte des Flüchtlingsrates zu bestimmten Themengebieten, wie z.B. Inhaftierungsbedingungen und illegale Rückführungen, anzufertigen. Wir Freiwilligen und Praktikant_innen können auch in Eigeninitiative Projekte erarbeiten, sofern dafür neben den normalen Tätigkeiten Zeit und Kraft bleibt. Persönlich lerne ich viel über internationales und europäisches Asylrecht sowie die spezifisch griechische Rechtslage und Migrationspolitik, aber vor allem über den Umgang der griechischen Gesellschaft mit den schutzsuchenden Migrant_innen.

So dankbar ich für meine bisherigen Erfahrungen als Praktikant und Interim-Athener bin, so düster blicke ich auf das, was Griechenland angesichts der schlechten Wirtschaftslage in den nächsten Jahren erwartet. Einziger Lichtblick ist für mich die gesellschaftliche Selbstorganisation. Die überwiegend von anarchistischen Ideen und linken Utopien inspirierte und aus der Not geborene solidarische Zusammenarbeit hat mit Lebensmittelkooperativen, über 50 frei zugänglichen Arztpraxen, gratis Lehr- und Trainingsangeboten, einer selbstverwalteten Fabrik und weiteren Projekten das geleistet, was der griechische Staat nicht mehr leisten kann und insbesondere für Geflüchtete überhaupt nicht leisten will.