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Lost in Europe? Jugendarbeitslosigkeit in der EU

Lesedauer: 7 Minuten

Diese Frage diskutierten im April 2014 Gewerkschaftsvertreter_innen und Junge Föderalist_innen im Europa-Salon. Moderiert wurden die Abende von Simon Wolf , Referent für Wirtschafts- und Finanzpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin.

Zu Gast waren:

Markus Schlimbach, Stellvertretender Vorsitzender des DGB Sachsen

Linn Selle, Vorsitzende der JEF (Junge Europäische Föderalisten)

Kajo Kramp, Jurastudent, aktiv bei der JEB (Junge Europäische Bewegung) Brandenburg Ronja Kreutterer, aktiv bei der DGB Jugend

Die Jugendarbeitslosigkeit in Europa weist ein heterogenes Bild auf

Zu arbeitslosen Jugendlichen werden junge Menschen gerechnet, die im Alter von 15 bis unter 25 Jahren keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Zwar ist Jugendarbeitslosigkeit laut statistischen Analysen des Eurostat ein Phänomen, welches in jedem Mitgliedstaat der europäischen Union auftritt. Jedoch gibt es – gemessen an der Jugendarbeitslosigkeitsrate – beträchtliche Unterschiede zwischen den Ländern. Während Deutschland mit einer Rate von 5,6 Prozent jugendlicher Erwerbsloser eine eher geringe Jugendarbeitslosigkeit aufweist, sind Griechenland (knapp 60%) und Spanien (über 55%) vergleichsweise stark betroffen.

Jugendarbeitslosigkeit als ein Krisenphänomen?

Die Jugendarbeitslosigkeit ist vor allem ein Problem, das aus der Krise entstanden ist, erklärt Markus Schlimbach. Das lässt sich anhand der statistischen Zahlen nachweisen: Zwar haben sich die europäischen Länder schon 2007 und 2008 auf unterschiedlichen Niveaus befunden, was darauf hindeutet, dass Jugendarbeitslosigkeit ein strukturelles Problem ist, das in allen Ländern existiert. Jedoch ist der eigentliche Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit erst 2009 und damit nach der Krise erfolgt.

Die geringe Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist zum Teil beschönigt

Ist hohe Jugendarbeitslosigkeit also ein Problem der „Krisenländer“? Das ist trügerisch!, meint Markus Schlimbach. Denn obwohl die Zahlen in Deutschland sehr viel besser sind als in anderen europäischen Ländern, gibt es doch Einwände, die nicht unbedingt für eine „Top Lage“ in Deutschland sprechen.

So werden statistische Tricks angewandt, um Jugendliche aus der Statistik herauszuhalten. Außerdem befinden sich viele Jugendliche in Warteschleifen, da sie von einer schulischen Maßnahme zur nächsten geschickt werden und tauchen daher nicht in der Arbeitslosenstatistik auf. Ebenso normal ist es, dass Berufsanfänger_innen zunächst in Leih- oder Zeitarbeit beschäftigt und deshalb zwar immer wieder zwischenzeitlich arbeitslos gemeldet sind, jedoch insgesamt in prekären Beschäftigungen verbleiben. Es kann deshalb kaum davon gesprochen werden, dass die Jobsituation junger Menschen in Deutschland rosig ist, sagt Markus Schlimbach.

Die Initiativen der EU verfehlen das Ziel

Was also wird auf EU-Ebene getan, um einer Jugend, die „lost in Europe“ ist, zu helfen und ihnen gute Arbeitsplätze anzubieten? Die Liste europäischer Initiativen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist lang.  Linn Selle zeigt sich aber resigniert: Da werden Gipfel und Konferenzen veranstaltet, Pläne, Appelle und Mitteilungen veröffentlicht, aber insgesamt gibt es doch nur „sehr viel Gerede“ und kaum konkrete politische Maßnahmen, die umgesetzt werden.

Seit 1997 gibt es in der EU diverse Beschäftigungsprogramme, die bei der Krise ausgeweitet wurden:

Das Problematische an diesen Programmen ist vor allem, dass junge Leute letztlich in schlecht bezahlten Praktika landen oder von einer Maßnahme zur nächsten geschickt werden: Die Chancen werden dadurch nicht unbedingt besser. Um wirklich gute Jobs zu schaffen, müssten bis zu 100 Mrd. EUR zur Verfügung gestellt werden, sagt Linn Selle. Woran es außerdem scheitert, ist die Umsetzung, denn nicht einmal zehn der 28 Mitgliedstaaten hätten bis dato ein Programm vorgelegt, wie die Garantien nun umgesetzt werden sollten. Was sich feststellen lässt, ist, dass junge Menschen – auch durch bilaterale Förderungen und Abkommen – ihre gewohnte Umgebung verlassen, um anderswo ihr Glück zu suchen.

Armut als Grundlage für Mobilität ist fraglich

Was sollen wir von der zunehmenden Mobilität halten?, fragt Simon Wolf beim Europasalon in Leipzig und regt an, über Vor- und Nachteile der Arbeitsmigration in Europa nachzudenken.

Auf jeden Fall ist der gemeinsame Markt und besonders der gemeinsame Arbeitsmarkt der Kern der Errungenschaften der EU, betont Linn Selle, denn er ermöglicht, dass junge Leute überall dort arbeiten können, wo sie möchten. Die junge engagierte Frau steht selbst für jene junge Generation, die sie als sehr mobil und transnational beschreibt.

Arbeitsmigration an sich ist also nicht das Problem. Bedenklich ist aber, und das unterstützt auch Markus Schlimbach aus gewerkschaftlicher Sicht, dass aufgrund prekärer Arbeitsverhältnisse, Armut und Arbeitslosigkeit junge Menschen dazu gezwungen werden, ihr Land und ihre Region zu verlassen. Dort, wo sie hingehen, ist die Situation oft nicht besser: Auch in Deutschland bestimmen Lohn-Dumping, Werkverträge und Saisonarbeit das Bild.

Hinzu kommt der Effekt, der volkswirtschaftlich als „Brain Drain“ bezeichnet wird: Die junge Föderalistin Linn Selle erklärt, dass es für Länder, die in einer wirtschaftlich schlechten Lage stecken, sehr viel schwieriger wird, eine gute und kreative Wirtschaft aufzubauen, wenn gut ausgebildete Menschen ins Ausland gehen.

Das Duale Ausbildungsmodell als Exportschlager?

„Dabei ist unsere Generation“, so Linn Selle, mit eine der best-ausgebildetsten! Reicht es deshalb aus, allein auf Ausbildungssysteme und Hochschulbildung zu setzen? Vielfach diskutiert und oft als die Lösung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit propagiert, wird das duale Ausbildungsmodell, das so nur in Deutschland und Österreich existiert. Fast alle anderen Länder haben staatliche Ausbildungssysteme. Im Gespräch mit Simon Wolf erklärt Markus Schlimbach, dass es schwierig ist, ein Ausbildungsmodell einfach so zu „exportieren“. Gerade die Betriebe in den Krisenländern, warnt der Gewerkschaftler, sind nicht in der Lage, unter den gegenwärtigen Bedingungen zusätzlich noch eine Berufsausbildung zu stemmen, so wie wir sie gerade in Deutschland haben. Es herrschen Skepsis und Vorbehalte. Außerdem kommt es sehr darauf an, wie ein Ausbildungsmodell im jeweiligen Land funktioniert und was an den vorhandenen Systemen verbessert werden kann. Auch in Deutschland gibt es ein krisenmäßiges Auf- und Ab und das duale Ausbildungsmodell scheint lange nicht so erfolgreich wie gepriesen. (mehr Informationen zum Dualen Ausbildungsmodell als „Exportschlager“ im extra Interview). Dennoch kann ein duales Berufsausbildungssystem dazu beitragen, dass es durch die Praxisnähe jungen Menschen leichter gemacht wird, ihren Berufseinstieg zu finden.

„Bildung allein ist schwierig“

Aber, so meint Linn Selle, ist Bildung allein schwierig. Vielmehr ist der deregulierte Arbeitsmarkt das Problem, dem die junge Generation anheim fällt. Zwar haben Jugendliche ein starkes europäisches Bewusstsein, da sie mit den Vorzügen eines freizügigen Europas aufwachsen und leben. Aber das Versprechen, es einmal besser zu haben als sie, können die Eltern ihren Kindern nicht mehr geben. Zukunftsangst und damit eine diffuse Angst vor Globalisierung macht sich deshalb gerade bei jungen Leuten breit und kann im Ernstfall auch Grund für nationale Tendenzen in den Mitgliedstaaten der EU hervorrufen.

Mehr Repräsentation und Teilhabe gefordert

Wie wichtig ist uns die Jugend? fragt Linn Selle deshalb. Sie sieht eine Diskrepanz zwischen den Identitäten junger und älterer Menschen, die daher rührt, dass Jugendliche kaum in politischen Strukturen repräsentiert und ihre Interessen wenig vertreten werden. Hinzu kommt, dass die Jugend weit weniger zur Wahl geht und damit – rational betrachtet – für Politiker_innen kaum ein Anreiz besteht, Jugendpolitik zum Schwerpunkt zu machen. Die Föderalistin spricht von der „doppelten politischen Benachteiligung der Jugend in Europa“.

Arbeitsmarktregulierung und faire Standards

Wichtig ist deshalb nicht allein die Investition in Bildung Jugendlicher, sondern eine bessere Arbeitsmarktpolitik.

Dazu Simon Wolf im Interview mit Linn Selle:

 

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Gerade Gewerkschaften müssen sich dafür einsetzen, den staatlichen Auftrag durchzusetzen, Mobilität vor allem junger Menschen fair zu gestalten und Transparenz auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen. Aus Sicht der JEF ist auch ein finanzieller Ausgleich zwischen wirtschaftlich starken Staaten und Regionen notwendig, die geringe Steuereinnahmen durch eine schwache Wirtschaftsleistung und hohe Arbeitslosigkeit verzeichnen. Insbesondere sozialpolitische Maßnahmen, die zugleich identitätsstiftend sind, wie beispielsweise eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung, könnten die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit in der EU verringern. Die Sparpolitik der EU-Kommission kann das Problem der Jugendarbeitslosigkeit jedenfalls nicht lösen. Um es wirklich in Griff zu bekommen, müssen ganz grundsätzliche Fragen gestellt und im gesamten europäischen Raum diskutiert werden. Wollen wir ein solidarisches und demokratisches Europa? Sowohl Gewerkschaftsvertreter_innen als auch Mitglieder des Jugendverbands JEF sprechen von einem neuen „Generationenvertrag“.