Bleibe im Lande und wehre dich täglich

Knut Plank, geboren 1964, aufgewachen in Jößnitz bei Plauen, verheiratet, zwei Kinder, Orchesterwatrt am Theater. In den 1980er organisierte er den Kreis Afrika, gehörte zur Wahlbeobachtungsgruppe in Plauen und arbeitete im NEUEN FORUM mit. Nach der Revolution gründete er den Vogtländischen Mieterverein und wurde Rechtsanwalt.

 

Das Porträt schrieb der Journalist Pit Fiedler auf der Grundlage von Oral-History Interviews.

Das komplette Porträt ist in dem Buch „Bürgermut macht Politik. 1989/90 – Neues Forum Plauen. Bürgerforum Cheb“ (Eckhard Bodner Verlag) nachzulesen.

 

Ich bin heute Rechtsanwalt, verheiratet und habe zwei Kinder. Mit meinem Beruf habe ich einen relativ ausgefüllten Tag und bin politisch fast in keiner Weise mehr aktiv. Allerdings arbeite ich ehrenamtlich bei der Volkssolidarität Plauen/Oelsnitz e.V. Meine politische Überzeugung ist eher links, ohne irgendwelche extremen Standpunkte einzunehmen. In manchen Aspekten zeichnet sich für mich eine Bewegung zur Mitte hin ab. 

Geboren wurde ich 1964 in Herzberg bei Torgau und war noch keine zwei Jahre alt, als meine Eltern in das Haus meines Vaters in Jößnitz zogen. Wichtig wurde für mich die Omi mütterlicherseits. Sie wohnte zeitweise bei meinen Eltern, um mich zu versorgen. Von ihr lernte ich zu kochen und all die wichtigen anderen Dinge, die man im Leben braucht. Sie war kirchlich gebunden und vertrat sehr humanistische Gedanken.                                                                                  

Meine Mutter war ebenfalls kirchlich eingestellt, ging aber nie öffentlich in die Kirche außer zu Weihnachten, und hielt mit ihrer Meinung in der Regel eher hinterm Berg. Das lag an ihrem Charakter, an ihrer exponierten beruflichen Stellung im Rat des Kreises und an der Ehe mit meinem Vater, einem aufrechten SED-Mitglied und überzeugten Kommunisten. Mein Vater wurde kurz nach der Wende arbeitslos und fand auch nie wieder Arbeit.

Mein Vater zeigte dagegen demonstrativ, dass er SED-Mitglied war, und verteidigte seinen DDR-Staat. Wenn ich etwas kritisierte, mündete das immer in einen unsachlichen Streit. Manchmal standen wir schon kurz vor körperlichen Auseinandersetzungen. Als ich dann mit 19 Jahren zur Armee kam, gab es einen Knall, und mit einem Mal war das Verhältnis zu meinem Vater in Ordnung. Das tat mir gut. Er ist auch heute noch ein bisschen schwierig zu handhaben. Er kennt keine Schattierungen zwischen den bösen Kapitalisten und den armen Arbeitern.
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In kirchlichen Kreisen verkehrte ich nicht. Bei mir setzte sich damals gedanklich doch eher der Vater durch. Ich war nach meiner eigenen Überzeugung nicht christlich. Ich wollte mich nicht unter das Dach der Kirche verkriechen. Ich sagte mir: „Wenn ich hier wohne und in diesem Staat etwas verändern will, muss ich mir die Institution suchen, die das kann.“ Das war für mich die Partei.

Ich wollte deshalb - mit einer Auffassung, die nicht mehr unbedingt staatskonform war –  Mitglied der SED werden. Ich ging noch als Schüler ehrlichen Herzens zum Parteisekretär, der gleichzeitig mein Chemielehrer war, und sagte: „Herr Schmidt, ich hätte gern einen Aufnahmeantrag für die SED.“ Er guckte mich mit großen Augen an und sagte: „Also Knut, solche Leute wie Dich wollen wir in unserer Partei eigentlich nicht haben.“ Seit dieser Antwort machte ich aus meiner abweichenden Meinung keinen Hehl mehr. Ergebnis: In der Beurteilung auf meinem Zeugnis stand, dass ich politisch keinen festen Klassenstandpunkt einnehmen würde. Mit dieser Brandmarkung hatte man kaum eine Chance, irgendwo zu studieren.
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Ich schloss mich dem so genannten Kreis Afrikahilfe um Klaus Hopf und Steffen Kollwitz an,  in dem die Geschichte mit der Kontrolle der Wahlen und  letztendlich auch das NEUE FORUM entstanden sind. Klaus Hopf arbeitete wie ich im Theater; ich als Orchesterwart, er in der Werbung. Wir wollten nicht mehr für unsere Bruderländer in Afrika spenden, damit sie sich Panzer kaufen könnten, sondern direkt vor Ort helfen; mit Geld, Klamotten, normalen Sachen. Bald merkten wir jedoch, dass die Afrikaner mehr von uns erwarteten, z.B. ein Laboratorium. Wir zogen uns zurück und suchten nach neuen Aufgaben.

Einmal erzählte ich von der Kontrolle der Kommunalwahl oder der Staatsratswahl, die eine Gruppe vor einigen Jahren in Berlin durchgeführt hatte. Ein junger Typ hatte mir davon am Rande einer Party in Berlin berichtet. … Die Idee kam in unserem Kreis an, und dann passierte etwas, das mir zu der Zeit andauernd passierte: Die Idee ist kundgetan, das Projekt ist ins Leben gerufen, und ich fühlte mich von meiner Persönlichkeit her nicht in der Lage, die für die Verwirklichung erforderliche Fleißarbeit zu leisten. Steffen Kollwitz war schon ein anderes Kaliber. Er griff die Idee mit einer ganz anderen Überzeugung auf. Er trieb das Projekt in der Folgezeit mit einer Ernsthaftigkeit und Zuverlässigkeit voran, die mir damals völlig abhanden gekommen war.

Ich besorgte aus der Bibliothek das Wahlgesetz, und wir stellten fest, dass jeder DDR-Bürger das Recht hatte, Wahlen zu kontrollieren. Das Argument beruhigte unsere Nerven. Wir wollten nichts Unrechtes tun. Es war schon witzig. Ich zählte die Stimmen nach Wahlschluss zusammen mit Ich-weiß-nicht-wem im Stadtteil Westend aus. Wir notierten, wie viele Leute diesem Wahllokal zugeordnet waren, wie viele kamen und wie viele mit „Ja“ oder „Nein“ stimmten. Mich verwunderte, wie bereitwillig man uns beobachten ließ. Nach der Auszählung unseres Ergebnisses bekam ich einen Riesenschreck. Es war gar nicht so weit von den üblicherweise veröffentlichten Zahlen entfernt. Ob man nun 99,5 % oder 95 % Ja-Sager hatte, machte am Ende doch keinen Unterschied. Ich verstehe bis  heute nicht, warum diese blöde DDR nicht den Mut hatte, die tatsächlichen Zahlen zu veröffentlichen, und warum so viele Leute die DDR wählten. Am Ende stellte sich heraus, dass es in Plauen für DDR-Verhältnisse extrem viele Nichtwähler gab - 3 % -,  und dass diese Zahl trotzdem noch geschönt sein musste. Denn die 3 %  Nichtwähler hatten wir schon allein in den von uns kontrollierten Wahllokalen festgestellt … Dass wir den Wahlbetrug mit einer Eingabe weiter verfolgen wollten, hieß ich gut, beteiligte mich aber an der Arbeit nicht mehr direkt. 

In dieser Phase trafen wir uns meistens bei Klaus Hopf. Alle fünfzig Mann der Wahlbeobachtungsgruppe passten gerade in das riesige Wohnzimmer seiner Wohnung. Von der Markuskirche, in der Steffen Kollwitz aufgrund seines gemeindlichen Engagements aktiv war, bekam ich selbst gar nicht so viel mit. Ich hatte mit Kirche nichts am Hut. Ich sagte: „Ich mache bei Euch gerne mit. Aber unter das Dach der Kirche flüchte ich mich nicht.“ Das entsprach, glaube ich, auch der Auffassung von Klaus Hopf.

Klaus Hopf’s und meine Idee des NEUEN FORUMs lief auf keine Partei, sondern auf eine Bürgerbewegung hinaus. Eine Bürgergruppe, die in einem Wohngebiet einen Spielplatz einrichten lassen will, könnte sich zum Beispiel vom NEUEN FORUM als Lobby – wie man heute sagen würde - bei den staatlichen Organen vertreten lassen und so am politischen  Dialog teilhaben. Ich finde diese Idee, muss ich ehrlich sagen, auch heute noch interessant zur Lösung einzelner Probleme vor Ort. So gesehen war es nur konsequent, dass ich meine Tätigkeit beim NEUEN FORUM in dem Augenblick komplett einstellte, als es sich entschloss, Partei zu werden, um an bestimmten Wahlen teilnehmen zu können. Ich halte das noch immer für völlig verfehlt. Aber gut, es ist so passiert.
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Ein paar Tage nach dem 7. Oktober trafen wir uns aus Platzmangel erstmals unter dem Dach der Kirche in einem Gemeindesaal. Ich war weich geworden. Der Eindruck, den dieses Treffen bei mir hinterließ, war überwältigend. Klaus und ich saßen plötzlich einer Gruppe von zwanzig Erwachsenen gegenüber. Sie wollten von uns wissen, was wir vorhätten. Ich fühlte mich damals noch nicht erwachsen. Mein Outfit war auch nicht unbedingt Vertrauen erweckend. Fakt ist, dass wir an diesem Abend offene Türen eintraten. Wir fingen an, eine Organisation aufzubauen und übernahmen eine gewisse Führungsposition, ohne  gewählt worden zu sein. Das ging im Verlauf der Revolution genau so weiter.
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Als das NEUE FOURM mit Blick auf die Kommunalwahl die Formulierung eines Wahlprogramms in Angriff nahm, stellte ich meine Mitarbeit ein. Ich trat nie aus, aber ich sagte: „Wenn Ihr jetzt Partei werden wollt, dann war es das für mich und  Tschüss!“ Ich ging und ließ keine Diskussion darüber zu.  Ich fühlte mich als Angehöriger einer Schicksalsgemeinschaft „DDR“, deren Zukunft wir gerne selbst in die Hand genommen hätten. Mein Highlight wäre ein eigener Staat unter Verwaltung der Europäischen Union gewesen.

Ich entwickelte nach meinem Rückzug aus der Politik völlig neue Ambitionen. Ich verließ das Theater und arbeitete eine Zeit lang in der Werbung für das neu gegründete Malzhaus. Danach war ich arbeitslos und suchte nach Möglichkeiten, mich konkret einzubringen. Schließlich gründete ich den Vogtländischen Mieterverein. In ihm fühlte ich mich aufgehoben, weil ich Leuten helfen konnte. Es gelang in kürzester Zeit, eine Organisation mit ca. 2.500 Mitgliedern im Vogtland aufzubauen. Das waren mehr als jede Gewerkschaft oder neue Partei damals hatte. Trotzdem musste ich meine Tätigkeit im Vereinsvorstand aufgeben, weil ich gleichzeitig in Jena Jura studierte und meinen Abschluss machen wollte.

Eine politische Heimat fand ich bislang in keiner Partei, habe aber zunehmend mehr Verständnis für die Zwänge, denen Parteien unterliegen. Es gab sicherlich Zeiten, wo ich gesagt hätte: Ich bin Kommunist. Es gab sicherlich Zeiten, wo ich gesagt hätte: Ich bin kommunistischer als die SED.  Im Augenblick sehe ich in der Parteienlandschaft aber niemanden, der die für mich entscheidenden sozialen Ziele gut verwirklicht.