"Demokratieerklärung" /Extremismusklausel

23. Januar 2014

"Demokratieerklärung" /Extremismusklausel in sächsischen Förderprogrammen muss gerichtlich geprüft werden.

Am 28. Mai 2011 hat Weiterdenken für das Projekt Holocaust vor Ort - Stadtgeschichte und Vernichtung, Modellprojekt für ein zeitgemäßes Bildungskonzept zum Holocaust Mittel aus dem Landesprogramm "Weltoffenes Sachsen" beantragt. Am 10. August 2012 wurde die Förderung mit Schreiben durch die Sächsische Aufbaubank (SAB) abgelehnt. Obwohl das beantragte Projekt den Förderschwerpunkten der Richtlinie entspreche, sei es aus formellen Gründen nicht förderfähig. Grund sei unsere fehlende Unterschrift unter die "Demokratieerklärung". Am 13. August 2012 hat der von Weiterdenken beauftrage Rechtsanwalt, Johannes Lichdi, dagegen Widerspruch eingelegt und diesen nach Akteneinsicht im Dezember 2012 begründet. Am 12. Juni 2013 wurde dieser Widerspruch von der SAB ablehnend beschieden. Am 13.Juni 2013 hat Johannes Lichdi in unserem Auftrag dagegen Klage beim Verwaltungsgericht Dresden eingereicht und diese Anfang Januar in einem ausführlichen Schreiben begründet.

Die Klagebegründung ist hier zu finden (pdf- Datei, 345 kB).

Aus Sicht von Weiterdenken ist mit der sogenannten "Demokratieerklärung" ein Bekenntniszwang verbunden, der einer freiheitlichen Demokratie unwürdig ist. Eine Loyalitätserklärung zur Voraussetzung zur Finanzierung von demokratischer Bildungsarbeit zu machen, entspricht nicht unserem Verständnis vom Verhältnis von Bürgerschaft und Staat. Es ist nicht an uns, im Vorhinein eine demokratische Gesinnung bekennen zu müssen, um das Recht auf die Unterstützung eines offensichtlich fachlich förderfähigen Projektes zu erreichen.

Rechtsanwalt Johannes Lichdi formuliert in der Klageschrift: "Es ist widersprüchlich, wenn der Beklagte einerseits zivilgesellschaftliche Kräfte für die Demokratiebildung zu gewinnen sucht, diese andererseits aber einer beamtenmäßigen und bürokratischen Gesinnungskontrolle unterwerfen will."

Darüber hinaus ist sie ungeeignet und unangemessen, um zu sichern, dass mit den Projektmitteln tatsächlich demokratische Bildungsarbeit finanziert wird. Im Gegenteil behindert sie das demokratische Engagement und die freie Willensbildung von Bürgerinnen und Bürgern.

 

 

Das Projekt wird von Weiterdenken und unserer Schwesternstiftung in Brandenburg gemeinsam unter dem Titel "Ortsbegehung" durchgeführt und von vielen örtlichen Kooperationspartnern unterstützt und kofinanziert. Darüber sind wir froh und dankbar.

Wir danken auch für die Unterstützung von vielen Seiten in Bezug auf das Klageverfahren.

Vorstand: Dr. Annekathrin Olbrich, Dr. Martin Böttcher, Dr. Achim Wesjohann
Geschäftsführer Stefan Schönfelder

 

Die sächsische "Demokratieerklärung"/ Extremismusklausel im Wortlaut:
Als Träger der geförderten Maßnahmen haben wir dafür Sorge zu tragen, dass die zur Durchführung des geförderten Projektes als Partner Ausgewählten eine Erklärung abgeben, mit der sie bestätigen, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu bekennen und keine Aktivitäten zu entfalten, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen.

 

 
 

Nach der Veröffentlichung unserer Klage und einigen Medienberichten erreichten uns Kommentare und Anrufe. Dabei wurden nicht nur Fragen gestellt sondern auch Vorwürfe geäußert, wir wären wohl nicht demokratisch oder würden gar nichtdemokratische Ziele ("Steinewerfer") mit Steuermittel unterstützen wollen. Das Gegenteil ist natürlich der Fall: Gerade weil wir sehr ernsthaft über demokratische Kultur nachdenken, lehnen wir den präventiven Bekenntniszwang der Extremismusklausel ab.
Dazu einige Erläuterungen:

Weiterdenken ist ein Verein, der seit 20 Jahren Öffentliche Mittel des Bundes und des Freistaates Sachsen erhält, weil wir politische Bildungsarbeit leisten und dabei unsere "Aufgaben selbstständig, eigenverantwortlich und in geistiger Offenheit wahrnehmen sowie politische Zielvorstellungen verfolgen, die verfassungskonform sind und einer dauerhaften politischen Grundströmung entsprechen." wie es im entsprechenden Haushaltsgesetz heißt (hier zitiert nach dem Haushaltsgesetz 2011/2012, Einzelplan Staatskanzlei, Seite 66). Diese Arbeit wird ständig geprüft. Insofern sollte klar sein, dass Verdächtigungen, wir würden nichtdemokratische Ziele verfolgen oder unterstützen, komplett aus der Luft gegriffen und bösartig sind.

Weiterdenken hat konkret bezogen auf die Klage eine Projekt aus dem Förderprogramm "Weltoffenes Sachsen" beantragt. Dabei haben wir ausführlich und konkret beschrieben, was wir mit welchem Ziel und Zielgruppen, welchen Methoden, mit wem und wie machen wollen, so dass das im Vorhinein gut einzuschätzen war, welchen Beitrag wir zur demokratischen Bildung leisten können.
Also: Ein nachweislich demokratisch orientierter Verein bringt seine Kompetenzen und Erfahrungen in demokratischer Bildung und sein Engagement ein, um konkrete demokratische Bildung zu machen. Aber er soll gegenüber einer Bank im Auftrag der Staatskanzlei eine bürokratisch-formale Klausel unterschreiben, dass er auf dem Boden der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung tätig sein wird, als Voraussetzung dafür, dass der Antrag überhaupt gelesen und angenommen wird. Das ist nicht nur sinnfrei sondern auch das Gegenteil von freiheitlich und bürgerinnenorientiert. Dass solche Loyalitätserklärungen und Bekenntnisklauseln dem Geist der Freiheitlich- Demokratischen Grundordnung widersprechen, wollen wir nun auch gerichtlich feststellen lassen.

Ist es nicht gerechtfertigt, dass der Staat kontrolliert, wer was mit Steuermitteln anfängt?
Ja. Deshalb beschreiben wir vorher sehr ausführlich das Projekt, deshalb werden viele Projekte während der laufenden Arbeit von Dritten evaluiert, ob und wie sie ihre Ziele erfüllen. Deshalb prüft die Behörde hinterher das Projekt sehr genau und kann im Zweifelsfall Geld zurückfordern. Eine Extremismusklausel hilft da gar nicht. Wer den Staat betrügen will, lügt einfach und die vielen engagierten Verein sehen sich mit Misstrauen und zusätzlichem Bürokratieaufwand konfrontiert.

Ist es schon zum Missbrauch von Fördermitteln in diesem Bereich durch "extremistische" Gruppen gekommen?
Nein. Mehrere Jahre ist das Geld in dem Programm ohne Klausel ausgegeben worden. Dabei gab es nicht einen Fall des "Missbrauchs" der Mittel. Auf die Frage "welche Fördermittelempfänger ... über das Programm "Weltoffenes Sachsen" in den Jahren 2005 bis 2010 gefördert (wurden), die nach Auffassung der Staatsregierung ... extremistisch sind bzw. keine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit leisten?" antwortete Innenminister Ulbig wie folgt: "Die Antwort zu Frage 1 lautet, dass der Staatsregierung keine solchen geförderten Projekte im Landesprogramm "Weltoffenes Sachsen" bekannt sind." (Plenarprotokoll der 29. Sitzung der 5. Wahlperiode, S.2837, Anlage 6.). Ein kompetenter Beirat sichtete die Projektanträge und konnte aus seiner Einschätzung der Projekte und der Kenntnis der einreichenden Vereine ausschließen, dass das Geld in "falsche Hände" gerät. Wozu dann eine Klausel?

Nochmal mit einer anderen Perspektive: Die Bürgerinnen und Bürger Sachsens haben - repräsentiert im Landtag - festgestellt, dass es ein Problem mit Rassismus, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und anderen antidemokratischen Einstellungen und Handlungen gibt. Sie legen deshalb fest, dass ein Teil der Steuergelder der Bürgerinnen und Bürger Sachsens für ein Förderprogramm ausgegeben wird. Damit bitten sie andere, engagierte und kompetente Bürgerinnen und Bürger Sachsens, Ideen, Zeit und Kraft aufzuwenden, um an dem Problem zu arbeiten. Tatsächlich finden sich solche Menschen. Anstatt froh und dankbar zu sein und deren Ideen gemeinsam zu qualifizieren und zu finanzieren, tritt der Staat ihnen mit einem grundhaften Misstrauen entgegen. Das behindert und diskreditiert die Arbeit von hunderten Engagierten in Sachsen. Wir sind nicht bereit, das zu akzeptieren.