T- wie Toleranz - vielleicht wird´s ja doch noch was?

 

„Sei doch mal tolerant“ sagte meine Mutter zu mir, wenn ich mich mal wieder über etwas furchtbar aufregte: Ich war eben mitten drin in den späten Achtzigern: mit Schneejeans, Schnauzbärten, Vokuhilas, Stasi-Stinos, Trabivoranmeldern, SED-Diktatoren, Pink Cadillacs im ZDF und dann die frühen Neunziger mit ihren Geschäftsführern, Bankberatern, Neuwagenkäufern, Skinheadarmeen, Ewigkeitskanzlern und anderem täglichen Ungemach, welches mit lockerem Hüftaufschwung meine Toleranzschwelle überwand.

In der DDR, dem Land in dem ich geboren wurde, gehörte aber Toleranz zum guten Ton. Vor allen solchen Dingen gegenüber, die eh´ nicht zu ändern waren: der möglichen Bespitzelung, dem Neid auf kleinstem Niveau, der schulischen Indoktrination und den unzähligen Einschränkungen, Fettnäpfchen und Verboten. Mit ein bischen Toleranz ist man da ganz gut durchgerutscht. Das DDR-Volk war offenbar sehr tolerant den täglichen Beschneidungen gegenüber. Auch ziemlich tolerant gegenüber dem intoleranten System.
Diese Toleranz machte mich krank. Und viele andere in meinem Alter auch. Wir waren eben noch nicht weichgeklopft vom System.

Dann wurde ich 18, 1988 und zusammen mit meiner Volljährigkeit ruckte und zuckte es im Land. Wir glaubten den Funktionären nicht, dass sie nur unser Bestes wollten. Und viele hauten einfach ab und kamen groß ins Fernsehen. Und dann ein Jahr später machte es unhörbar Plopp, der Flaschengeist war draußen und die Herrschaft der Intoleranz zerbrach.

Aber wie groß die Enttäuschung, als inmitten der schönsten Montagsdemozeit, als unser Herz laut pochte, ob so viel Glück eines selbstbestimmten Lebens, als da plötzlich Deutschlandfahnen wehten und das ehemals so tolerante DDR-Volk die Straße übernahm. Die haben nicht mal Danke gesagt, dass die Vopos weg waren. „Wir sind EIN Volk!“ – „Nee stimmt nicht ganz, ey, denkt doch mal nach, wir sind so viele unterschiedliche Menschen, es gibt Millionen Möglichkeiten.“ – „Nein, es gibt nur eine“, schallte die Masse entschlossen zurück.

Eine Revolution der Gartenzwerge, dachte ich. Schnell übernahmen die das Ruder und saugten kräftig am Nektar der Marktwirtschaft – und wurden einfach nicht satt. Immer war da einer, der mehr abbekommen hatte oder zum ersten Mal mitschlecken wollte. Asylbewerber zum Beispiel, Ausländer. Gesocks. Das einig Zwergenvolk grillte in den Think Tanks der Vor- und Schrebergärten eine stinkende Wolke der Intoleranz zurecht - all denen gegenüber, die anders aussahen, anders dachten, auch gegen mich, gegen dich. Mussten wir das tolerieren? Mussten wir nicht.

Wir wollten damals ´89 eine Gesellschaft der vielen Stimmen. Ohne absolute Mehrheiten und Wahrheiten. Eine diversifizierte Gesellschaft, die die Toleranz zum Lebensprinzip erhebt. Das geht nicht ohne eine gehörige Portion Intoleranz – all denen gegenüber, welche diesen vielstimmigen Chor bedrohen: „WIR sind das Volk!“ Vielleicht wird´s ja doch noch was? Ich denke schon.

 

 

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Jan Grünfeld, 1970 in Halle/ S. geboren, ist seit 1999 Diplom-Politikwissenschaftler. Er arbeitet heute als Texter und Konzeptioner in der Werbung und als Musiker und lebt seit 2007 auf einem Bio-Bauernhof in Freienorla in Thüringen.