Alles im weißen Bereich? Institutioneller Rassismus in Sachsen

Allgemein

Alles im weißen Bereich? Institutioneller Rassismus in Sachsen

Unter dieser Überschrift fand die fünfte Veranstaltung der Reihe zu Fragen von demokratischer Kultur in Sachsen, am 07.02.2014 in den Räumen des Hygienemuseums in Dresden statt. Besucht wurde sie von fast 200 Teilnehmer_innen. Die Veranstaltung wurde unterstützt durch die „Amadeu – Antonio – Stiftung“ und das Deutsche Hygiene Museum Dresden. Veranstalter_innen waren das Bildungswerk „Weiterdenken – Heinrich Böll Stiftung Sachsen“, der „Sächsische Flüchtlingsrat“, der „Sächsische Migrantenbeirat“, das Integrationsnetzwerk Sachsen, das „Kulturbüro Sachsen e.V.“, das „Antidiskriminierungsbüro Leipzig“ und das „Forum für kritische Rechtsextremismusforschung“ der Universität Leipzig.

Thematische Schwerpunkte der Tagung waren der strukturelle und institutionelle Rassismus in Sachsen. Dabei erfolgte eine abstrakte sowie alltagsnahe Einführung in das Thema. Anhand von praktischen Beispielen als auch durch eine direkte Ansprache der Teilnehmenden regte Manuela Ritz (Autorin, Antirassismustrainerin)  eine Sensibilisierung für das Bewusstsein: „wir sind alle Teil des Systems und damit auch des strukturellen und institutionellen Rassismus, wir können uns lediglich entscheiden, ob wir ihn bestärken, er uns egal ist und nichts angeht oder ob wir uns aktiv und parteilich dagegen positionieren“, an. Für die theoretische Einbettung des Themas übernahm anschließend Dr. Mark Terkessidis (Autor, Migrationsforscher, Psychologe, Journalist) die Verantwortung. Für ihn ist rassistisches Wissen ein grundlegendes gesellschaftliches Wertesystem, dass einen Konsens in der weißen Mehrheitsgesellschaft darstellt. Es geht demnach nicht darum sich mit individuellen Vorurteilen zu beschäftigen, sondern mit einem vorhandenen rassitischen Konsens innerhalb unserer Gesellschaft. Anschließend wurden Fragen der Zuschauer_innen in Form eines Podiums an die Referent_innen zurückgebunden.

Nach einer kleinen Pause bekamen konkrete analytische Aspekte wie. z.B. Rassismus im Ort, Rassistische Diskriminierungen in Arbeit und Ausbildung, zum Umgang mit rassistischen Einlasspraxen in Clubs und Diskotheken, Racial Profiling und schwarze deutsche Literatur in fünf Workshops einen Raum.
 

Für die kulturelle Untermalung in Form einer tragisch komischen Reflexion sorgte das Theater „La Lune“ mit ihrem Stück „just a little bit racist“, nach der Mittagspause sowie am Ende der Tagung.

Die Veranstaltung machte Lust auf mehr. Nicht nur inhaltlich, sondern vorallem auch wegen der großen Anzahl an Teilnehmer_innen die zusammen gekommen waren, besteht die Hoffnung, dass institutioneller Rassismus in Sachsen kein Tabu mehr darstellt und auf unterschiedlichen Ebenen zukünftig angegangen werden kann.

 

 

Videomitschnitte

Ansprache und Einführungsvortrag (englisch)

 

Ansprache und Einführungsvortrag (deutsch)

Workshops

 
 

Workshop 1
Unter dem Titel „Heute geschlossene Veranstaltung“ stellten Daniel Barthel und Iris Fischer-Bach vom Anti-Diskriminierungsbüro Leipzig (ADB) ein Projekt gegen rassistische Einlasskontrollen vor. Ausgehend von einer Untersuchung zur Einlasspraxis in Nachtlokalen und Diskotheken in Leipzig begann das ADB sich zusammen mit unterschiedlichen Akteuren und Institutionen auseinanderzusetzen, um dem rassistischen Ausschluss vor dem Eingangsbereich nachhaltig entgegenzuwirken und zugleich rassistische Diskriminierung ins Bewusstsein der zuständigen Institutionellen aus dem privaten und staatlichen Aktionsfeld zu rücken. Die  Referierenden schilderten nicht nur ihr Vorgehen und die Ergebnisse des Projektes, sondern präsentierten auch Anknüpfungspunkte für eine Erweiterung ihrer Methode der vielschichtigen Rassismusbekämpfung durch die Zusammenarbeit mit Institutionen und Akteuren aus dem staatlichen und privatwirtschaftlichen Bereich. Auch Probleme und Herausforderungen bei der Projektdurchführung wurden benannt und diese kritisch zusammen mit den Teilnehmer_innen beleuchtet.

Workshop 2
Der rassistische Übergriff in Mügeln aus dem Jahr 2007 war das Thema des Workshops „Rassismus im Ort“. Dr. Britta Schellenberg (LMU München) präsentierte ihre Studie zu dem Vorfall, bei dem mehrere Menschen aus rassistischen Motiven physisch bedroht, angegriffen und schließlich durch die Stadt gejagt  worden waren. Im ersten Teil des Workshops wurden Untersuchungsberichte  der Polizei und einzelne Zeugenaussagen betrachtet. Als problematisch wurden Abweichungen in späteren Polizeiberichten zu früheren Ermittlungsergebnissen bewertet. Insbesondere die Einschüchterung von ermittelnden Polizist_innen durch Rechtsradikale fand in späteren Ermittlungsberichten keine Erwähnung mehr. In der zweiten Hälfte des Workshops rückten die Stadtverwaltung und der Bürgermeister von Mügeln in den Fokus, wofür ein Interview des Bürgermeisters ausgewertet wurde. Es wurde hierdurch ersichtlich, dass der Mügelner Bürgermeister entgegen bundesweiter Berichterstattung kein rassistisches Motiv in dem Vorfall auf dem Mügelner Stadtfest erkennen wollte und zugleich die Bürger_innen der Stadt als Opfer einer Medien-Kampagne gegen das Image der Stadt stilisierte. Abschließend wurde durch das Mobile Beratungstermin des Antidiskriminierungsbüros Sachsens Strategien gegen die Relativierung von rassistischen Übergriffen und gegen Ermittlungsfehler bei politisch motivierten Straftaten von Rechts thematisiert.

Workshop 3
Im Workshop „Besetzte Stellen“ setzten sich die Teilnehmer_innen intensiv mit rassistischer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt auseinander. Nach einem spielerischen Einstieg zur Sensibilisierung für Diskriminierungserfahrungen stellte Rudaba Badakhshi vom Referat für Migration und Integration der Stadt Leipzig das RESQUE Plus Programm zur Unterstützung von arbeitssuchenden Asylbewerber_innen, Geduldeten und Migrant_innen vor. Anschließend beschrieb Swetlana Kreismann vom Ausländerrat Dresden e.V. anhand von Fallbeispielen, wie Migrant_innen aufgrund rassistischer Motive und bürokratischer Hürden bei der Arbeitsplatzvergabe und Ausübung beruflicher Tätigkeiten benachteiligt und psychisch belastet werden. Zum Ende der Sitzung stellte Dr. Andreas Hieronymus vom Institut für Migrations- und Rassismusforschung e.V. in Hamburg eine Zusammenfassung seines Forschungsbeitrags zum Schattenbericht des Europäischen Netzwerks gegen Rassismus vor und zeigte daran Handlungsoptionen und Positivbeispiele der Rassismusbekämpfung mithilfe der Berufung auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf.

Workshop 4
Unter der Überschrift Racial Profiling beleuchtete Martin Herrnkind (Amnesty International) diverse Polizeipraktiken, die rassistische und diskriminierende Naturen sind. Personkontrollen, die eine illegale Einreise von Menschen in die BRD verhindern sollen und nach ethnischen und kulturellen Zuschreibungen passieren sind dabei nur eine Facette. Diese alltägliche Polizeipraxis verstößt massiv gegen den Grundsatz der Gleichheit des Art. 3 Grundgesetz. Racial Profiling geht jedoch, wie Herrnkind ausführte, über diese klassischen Kontrollsituationen hinaus und findet sich in einer ganzen Bandbreite von stereotypen Zuschreibungen in der Ermittlungsarbeit wieder. Im zweiten Teil des Workshops referierte KOP, die Kampagne für Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt in Dresden über ihre Arbeit. Anschließend wurden anhand eines Fallbeispieles und interaktiv verschiedene Fragen im Focus Racial Profiling beantwortet und anschließend im Plenum diskutiert.

Workshop 5
Natasha Kelly und Adetoun Kueppers-Adebisi referierten zum Thema „Schwarze deutsche Literaturgeschichte und Rassistisches Wissen an Hochschulen“. Entlang von Videobeiträgen, Literaturbesprechungen und einem Besuch des Deutschen Hygiene Museum wurde in diesem Workshop auf rassistische Wissensbestände in der Lehre an Hochschulen und auf den Mangel einer reflektierten Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte in Bildungsinstitutionen hingewiesen. Die Teilnehmer_innen wurden dazu angeregt, sich selbst innerhalb einer durch rassistische Strukturen geprägt Gesellschaftsordnung zu verorten und davon ausgehend ihre Perspektive und gesellschaftlichen Status zu hinterfragen. Ein wesentlicher Bestandteil des Workshops wurde der Literatur und wissenschaftlichen Beiträgen Schwarzer Autor_innen gewidmet und verdeutlicht, nach welchen rassistischen Logiken diese Autor_innen Popularität erlangen bzw. nicht erlangen konnten und ihre Beiträge als wissenschaftlich bzw. nicht-wissenschaftlich von der mehrheitlich weißen akademischen Gemeinschaft bewertet wurden. Der Workshop war begleitet von zahlreichen kleineren Diskussionen unter den Teilnehmer_innen und kritischen Anmerkungen der Referentinnen.