Blick über den Gartenzaun – Bericht von der Exkursion nach Chemnitz

Am 16. Juli fand ein Gärtneraustausch für mitteldeutsche Gemeinschaftsgarteninitiativen in Chemnitz statt. Gemeinsam mit Gärtnern aus Dresden, Freiberg, Leipzig und den Chemnitzer Lokalmatadoren erkundeten wir auf Rädern die Stadt und nahmen dabei drei Gemeinschaftsgärtnern genauer unter die Lupe.

Der Begriff „Urban Gardening“ ist seit geraumer Zeit in aller Munde. Handelt es sich hierbei um eine temporäre Modeerscheinung? Wir glauben nicht.

Denn mittlerweile gibt es in Deutschland schon zahlreiche Gemeinschaftsgärten, die seit mehreren Jahren existieren (z.B. Internationale Gärten Göttingen seit 1995, Internationale Gärten Dresden seit 2005, Prinzessinnengärten Berlin seit 2009) und die ein fester Bestandteil ihrer Nachbarschaft sind. Aber nicht nur in den großen Städten wie Berlin, Leipzig oder Dresden entstehen immer mehr Gemeinschaftsgärten. Spannende Beispiele findet man mittlerweile ebenso in Coswig, Freiberg, Gera, Görlitz, Jena, Plauen, Meißen, Riesa, Zwickau, … oder eben auch in Chemnitz.

Einen guten Überblick über die Vielzahl an Gemeinschaftsgärten in Deutschland bietet der Internetauftritt der anstiftung.

Nachdem wir bereits 2014 einen gegenseitigen Besuch von Gemeinschaftsgärtnern aus Dresden und Leipzig organisierten, waren wir nun neugierig, was sich denn auch in anderen mitteldeutschen Städten tut und so beschlossen wir, zu einer gemeinsamen Erkundung der Chemnitzer Gemeinschaftsgartenszene einzuladen. Dieser Einladung folgten 15 GärtnerInnen aus 9 verschiedenen Gartenprojekten.

Von den aktuell sieben Chemnitzer Gemeinschaftsgärten wurden die folgenden drei Gärten besucht:

  Gartenutopie Knappteich Permakulturgarten
Gründung 2014 2013 2012
GärtnerInnen ~ 10 10-15 ~ 10
Fläche 3.000 m² 300 m² + 1000 m²
(Teichrandfläche)
1.000 m²
Internetauftritt www.gartenutopie.de www.knappteich.de

www.permakultur-tuc.de

Die Gartenutopie im Stadtteil Sonnenberg besteht seit Oktober 2014 und bewirtschaftet ein unbebautes Eckgrundstück. Das Grundstück gehört einem benachbarten Anwohner, der den Garten auch initiierte und die Fläche kostenlos zur Verfügung stellt. Das Projekt versteht sich als ein offener Nachbarschaftsgarten für alle Menschen, die daran partizipieren wollen. Auf der großzügigen Fläche gärtnern Jung und Alt in gemeinschaftlichen und eigenen Beeten. Der Garten wird naturnah ohne die Nutzung künstlicher Hilfsmittel bewirtschaftet. Einmal im Monat gibt es ein Garten-Plenum bei dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden.

Der Knappteich ist ein öffentliches Gewässer mit angrenzenden Grünflächen im Yorckgebiet, welcher von der Initiative „Unser Knappteich“ seit 2013 ehrenamtlich gepflegt wird. Dieser wurde bis in die 50er/ 60er Jahre als Eisweiher genutzt. Seit der Wende ist das Gewässer in der Obhut der Stadt Chemnitz. Jedoch fehlen der Stadt Ressourcen und Gelder für dessen Unterhaltung. Daher wurde mit der Stadt Chemnitz eine Pflegepatenschaft über zehn Jahre vereinbart. Die Übernahme der Pflegepacht durch die Projektgruppe hat es der Stadt Chemnitz ermöglicht, die Mittel für die Teichsanierung zu nutzen. Dadurch konnte das Biotop Knappteich mitten in Chemnitz erhalten werden. Zudem wurde in einer angrenzenden Kleingartenanlage ein offener Bürgergarten geschaffen. Dieser wird weitgehend nach den Prinzipien eines Permakulturgartens gepflegt. Rings um den Teich werden Obst- und Beerengehölze gepflanzt, die für jedermann zugänglich und essbar sind. In diesem Kontext wurden auch weitere Gärten des benachbarten Kleingartenvereins zu frei zugänglichen Obstgärten umgewandelt. Das Projekt setzt auf eine starke Einbeziehung von Institutionen und Initiativen in der Nachbarschaft. Über das gesamte Jahr gibt es ehrenamtliche Einsätze und Veranstaltungen, wie Frühjahrs- und Herbstputz an denen sich bis zu 50 Personen beteiligen. Längerfristig verfolgt die Initiative das Ziel, durch Informationstafeln und Workshops ein Umweltbildungsangebot für Kinder und Interessierte zu schaffen. Die Initiative „Unser Knappteich“ agiert in enger Kooperation mit Greenpeace Chemnitz unter dem Dach des SDB e.V. – Solidarität | Demokratie | Bildung. Dieser Verein bietet Menschen, die sich „politisch“ (nicht parteipolitisch) betätigen oder bürgerschaftlich engagieren eine Plattform für ihre Projekte.

Zuletzt besuchten wir den Permakulturgarten, wo uns zunächst eine leckere Stärkung mit allerlei Hausgemachtem erwartete. Der Permakulturgarten befindet sich auf dem Campus der TU Chemnitz in unmittelbarer Nähe zu einem Studentenwohnheim. Der Gemeinschaftsgarten ist ein Projekt des STURA und darüber steht auch ein jährliches Budget zur Verfügung, das die jährlichen Kosten deckt. Zudem wird die Fläche vom Studentenwerk kostenlos zur Verfügung gestellt. Einmal pro Woche gibt es einen offenen Gartentag und zentrales Kommunikationsmedium ist ein Email-Verteiler. Der Gemeinschaftsgarten ist für jedermann frei betretbar und verfügt nicht einmal über einen Zaun. Möglicherweise gibt es gerade deshalb auch keinerlei Probleme mit Vandalismus. Durch den fehlenden Zaun ist aber die Ernte schwer abschätzbar, da im Vorbeigehen gerne genascht wird.

Nach den zahlreichen Eindrücken aus den Gärten endete das Programm mit einem kleinen Workshop (Moderation Sebastian Kaiser – UFER Projekte Dresden e.V.). Dabei stand folgende Frage im Mittelpunkt: „Wie kann man Gemeinschaftsgärten verstetigen?

Denn neue Projekte starten mit viel Elan und Energie am Anfang. Aber ein Garten entsteht nicht in einem Jahr und auch eine Gemeinschaft braucht Zeit um sich zu entwickeln.

Bereits die drei beschriebenen Chemnitzer Gemeinschaftsgärten verdeutlichen, dass es hierfür sicherlich kein allgemeingültiges Rezept geben kann. Jeder Gemeinschaftsgarten ist gewissermaßen einzigartig und entwickelt sich unter sehr spezifischen Rahmenbedingungen.

Dennoch fanden wir in der Diskussion einige Gemeinsamkeiten. Die meisten Gemeinschaftsgärten sind von einem regelmäßigen Kommen und Gehen geprägt. Die Zusammensetzung der Gruppe verändert sich also kontinuierlich. Gleichzeitig sind Hierarchien flach oder formal nicht vorhanden und es besteht der Anspruch gemeinsam zu entscheiden. … und trotzdem soll der Laden laufen.

Fast alle Gemeinschaftsgarteninitiativen starten ohne sich im Vorfeld intensiv mit Fragen der Organisation, Entscheidungsfindung und erforderlicher Regeln auseinanderzusetzen. Dies geschieht daher als fortschreitender Entwicklungs- und Erfahrungsprozess. Man setzt sich also in der Regel erst dann damit auseinander wenn Probleme oder Konflikte entstehen.

Da wir alle nach einem harmonischen miteinander streben laufen vor allem selbstorganisierte Gruppen Gefahr, dass Missstände und Konflikte zu wenig thematisiert und in der Folge auch keine Lösungen dafür entwickelt werden. Dieses Verhalten schützt die Gruppe zwar möglicherweise vor heißen Konflikten und vor Spannungen um so den Bestand der Gruppe zu sichern, aber zugleich wird dadurch auch ihre Entwicklung und Veränderung verhindert.

Karl Schattenhofer hat diese Problematik in fünf Tabus selbstorganisierter Gruppen zusammengefasst:

1) Bewertung:

Es ist tabu zu bewerten. Die Angst Normen zu setzen ist dabei meist noch größer als selbst bewertet zu werden.
(Niemand hat das Recht, andere in der Gruppe offen kritisch positiv oder negativ zu bewerten in Bezug darauf, wie sie ihre Aufgabe erfüllen. Niemand soll sich unter den gleichberechtigten Mitgliedern als Chef, Lehrer, Beurteiler aufspielen. Obwohl zugleich Offenheit untereinander eingefordert wird und der Anspruch gilt, dass man sagt, wenn einen etwas stört, so findet dies nur in Ausnahmesituationen statt.)

2) Macht:

Das Thema Machtverteilung in der Gruppe ist tabuisiert, weil das Gleichheitsgesetz nicht infrage gestellt werden darf.
(Wenn in Gruppen keine Hierarchien vorgegebenen werden, dann entsteht ´automatisch´ eine informelle Art der Leitung. Trotz formaler Gleichberechtigung in der Gruppe bildet sich ein fester Personenkreis als innerer Kern der Gruppe, die deren Richtung bestimmen. Es sieht so aus als würde ihnen die Leitung der Gruppe zufallen und die anderen Mitglieder akzeptieren dies und erwarten von ihnen Orientierung und Entscheidungen. So entsteht eine informelle Hierarchie, die nicht thematisiert wird.)

3) Verbindlichkeit:

Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit werden nicht thematisiert. Das Entwickeln von Kriterien zur Mitarbeit unterbleibt.
(Was passiert wenn jemand seine übernommenen Aufgaben nicht wahrnimmt?)

4) Regeln:

Es wird (meist) nur sehr zurückhaltend geregelt. Die Gruppe versäumt den Bedarf an Sicherheit und Freiheit für die gesamte Gruppe zu reflektieren.
(Regeln bieten auch Orientierung. Weder zu wenige noch zu viele Regeln wirken positiv.)

5) Selbstreflektion, miteinander sprechen:

In der Regel wird nicht gemeinsam „über die Gruppe“ gesprochen. Die Gruppe wird nicht selbst zum Thema gemacht.

Die Spielregeln der Gruppe werden am Besten selber gemacht. Dafür muss man sich aber auch Zeit nehmen. Gerade weil Regeln mit der Zeit von selbst entstehen, sollte man sie aufschreiben. So werden sie formalisiert und man kann sie reflektieren und diskutieren. Neuen Mitgliedern wird es dadurch zudem erleichtert den Einstieg in die Gruppe zu finden.

Um aber gerade in der Gruppe den Raum zu öffnen, sich auch mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, ist es umso wichtiger auch immer an das allgemeine Wohlbefinden der Gruppe zu denken. Dies lässt sich durch gemeinsame Projekte und Rituale realisieren.

In Gemeinschaftsgärten geht es dann natürlich vor allem auch um das Genießen der gemeinsamen Ernte.

Oh ja, es war ein sehr schöner Tag in Chemnitz bei dem wir unsere Erfahrungen intensiv austauschen konnten. Ein herzliches Dankeschön an alle Chemnitzer Gemeinschaftsgärtner die uns ihre Gärten gezeigt und uns durch die Stadt geführt haben! Besonders danken wir Basti vom Permakulturgarten für Reiseleitung und Verpflegung.

Dieser Artikel wurde uns vom "Gartennetzwerk Dresden" zur Verfügung gestellt.
Weitere Informationen unter: https://www.dresden-pflanzbar.de/neuigkeiten/