Rechtsruck in Europa?“ - Rechtspopulistische Parteien im Europaparlament

Vom 11. bis 13. November 2014 fanden drei Europasalons zum Thema „Rechtsruck in Europa?“ - Rechtspopulistische Parteien im Europaparlament – statt. Die Veranstaltungsorte waren Dresden, Chemnitz und Leipzig. Zu Gast war jeweils der Journalist und Rechtsextremismusexperte Andreas Speit. In Chemnitz diskutierte er zum Thema mit P.D. Thom Thieme, in Leipzig mit Professor Ulrich Brieler.

Schon seit längerer Zeit ist ein Aufstieg der „radikalen Rechten“ in zahlreichen Ländern Europas zu beobachten, dies manifestiert sich besonders in den Europawahlergebnissen, Mai 2014. Bei einer Wahlbeteiligung von durchschnittlich 43 % wurden entsprechende Parteien zu einem signifikanten Anteil in mehr als der Hälfte der Staaten gewählt. Dabei wird von einer Stärke von bis zu 30 % im Europaparlament ausgegangen. Oft wird angemerkt, dass es den Parteien schwer fällt, sich in Fraktionen zu organisieren, so passiert etwa bei dem jüngsten Vorhaben der Front National und der Partei für die Freiheit. Tatsächlich sind radikale Rechte „nur“ organisiert in „Europa der Freiheit und der Demokratie“ (4,05 % der Sitze) und den Europäischen Konservativen und Reformisten (7,44% der Sitze).

Andreas Speit hat Europas radikale Rechte während einer Recherchereise, teilweise inkognito, tiefgehend untersucht. Dabei ergibt sich sich ein sehr heterogenes Bild der Parteien. Besonders ging er auf die Front National in Frankreich, die goldene Morgenröte in Griechenland, Jobbik in Ungarn und die Dänische Volkspartei sowie die AfD in Deutschland ein. Während der FN weit gemäßigtere Rhetorik als zuvor fährt und sich von offenem Antisemitismus verabschiedet hat, kommt es in Griechenland durch die goldene Morgenröte zu offener Gewalt gegenüber Menschen anderer Hautfarbe. Neun der rechtsradikalen Abgeordneten sitzen derzeit wegen Gewalttaten im Gefängnis. In Ungarn fokussiert sich Jobbik besonders „antiziganistisch“, die Dänische Volkspartei ist vor allem islamfeindlich. Die AfD wird derzeit noch nicht klar eingestuft, auch weil in ihr sowohl nationalkonservative, rechtspopulistische und liberale Strömungen um die Vorherrschaft ringen. sieht man genauer hin, so lassen bei einigen Mitgliedern z.B. rassistische frauenfeindliche Einstellungen feststellen.

Was alle Parteien eint, sind die vier „Neins“ zur Europäischen Union, zu Einwanderung zu einer pluralistischen Gesellschaft und zur „Islamisierung“ Europas. Seine These, die er anhand der Schwedendemokraten illustriert: Nicht eine ökonomische Krise und die davon hauptsächlich Betroffenen, sondern allein die Angst vieler Bürger davor, bringt der radikalen Rechten Zulauf. Im Kontext der Angst um den wirtschaftlichen Abstieg positionieren sie sich als„ die Kümmernden“ für die „einfachen Leute“ - Beispiele ist die goldene Morgenröte mit der Verteilung von Kleidern und Essen für griechische Staatsbürger. Gerade die nationale Stärke, lässt die Parteien somit im Europaparlament weit über die Fraktionen hinaus Einfluss üben. Auch sind sie in mehr Vereinigungen zusammengeschlossen, jenseits der Fraktionen zusammengeschlossen. Allgemein kommt es deshalb zu einer Renationalisierung von Politik, einer und einer Ethnisierung des Sozialen, während das größte Problem für die Sozialsysteme, der Steuerbetrug, nicht angegangen wird.

P.D. Tom Thieme kommentierte Andreas Speits Vortrag so, dass er von mehr als 1/3 rechtspopulistischer Kräfte im Europaparlament ausgeht, da die 5-Sternepartei sowie Lega Nord aus Italien oder Fidesz in Ungarn auch als rechtspopulistisch eingestuft werden können. Bezüglich der Schwierigkeit einer klaren begrifflichen Einteilung schlägt er deshalb eine Gliederung in demokratische und antidemokratische Parteien vor. Diese Dimensionen könne man anhand des Demokratieverständnisses der Parteien hinsichtlich Vorstellungen zur Interessenpluralität messen.

Hinzu fügte er, dass man aber auch über die Misserfolge der Rechten reden müsse. In einigen Ländern hatten Rechtspopulist_innen Wahlniederlagen, nach Regierungsbeteiligungen werden die Parteien auch oft abgestraft. Professor Ulrich Brielers Kommentar war die These, die „Menschenfeindlichkeit“ schreite aktuell voran. Er schreibt dies einer „Furcht vor der Freiheit“ zu, die in einer Flucht in eine „autoritäre Identität“ münde. Man müsse sich fragen, wann die „extrem“ (nicht radikale) Rechte voranschreite, warum sie an Zulauf gewinne und woher sie komme. Die nationalen Phänomene des Rechtsextremismus seien dabei ein Resultat der Globalisierung und als internationales System zu verstehen. Der heutige Fokus der extremen Rechten sei eine materialistische Bereicherung, durch die Logik des „Nach-unten-Buckelns“ und „Nach-oben-Tretens“. Speit gab dem Recht und fügte hinzu, dass die neoautoritäre politische Formation ein Ausdruck nervöser Mittelschichten sei. Die Frage sei aber eigentlich, wer die krisenbefördernde Politik betreibe.

In Fokus der Diskussionen standen vertiefenden Fragen nach den Einzigartigkeiten und Gemeinsamkeiten der radikal Rechten Parteien. Misserfolge in manchen Ländern können Beispielsweise dadurch erklärt werden, dass die etablierten demokratischen Parteien rechte Positionen in ihrem Wahlprogramm bedienen. Auch kam die Frage, ob man überhaupt noch eine klare Einteilung in rechts und links vornehmen könne. Die Diskutierenden stimmten darüber ein, dass dies doch der Fall sei. Es handle sich um unterschiedliche Menschenbilder und Gesellschaftsvorstellungen, die man voneinander abgrenzen könne – besonders autoritäre Denkvorstellungen spielten eine große Rolle.

In Reaktion auf die Rolle der „Kümmernden“ seitens rechtspopulistischer Parteien, kam zudem die Frage auf, warum sie diese Position für sich beanspruchen können und wie man dem entgegenwirken kann. Die Antwort: Rechtspopulist_innen stoßen in ein Vakuum, viele Bürger_innen fühlten nicht mehr durch die etablierten Parteien vertreten. Ein Beispiel sei die lohnabhängige Bevölkerung, die sich von sozialdemokratischen Parteien nicht mehr repräsentiert sehe. Es bedürfe deshalb einer lebendigen zivilgesellschaftlichen Auseinandersetzung, um zu libertären statt autoritären Lösungen zu kommen. Zudem wurde angesprochen, dass es weitreichenderer Politikdiskussionen etwa über Asylpolitik und Parteienverdrossenheit unter der jungen Bevölkerung bedürfe. Außerdem gehe es um Ängste der Bevölkerung, also Situationen die man als nicht änderbar ansehe. Wichtig sei es jedoch diese eher als „Furcht“, also als Reaktion auf die Ungewissheit der Zukunft zu sehen. Diese sollte von demokratischen Kräften aufgenommen und mit eigenen Utopien reagiert werden.

Links mit weiteren Informationen:
Zur Europawahl:

http://www.europarl.europa.eu/elections2014-results/de/election-results-2014.html

http://www.bbc.com/news/world-europe-2757586

http://www.europarl.europa.eu/elections2014-results/de/country-results-de-2014.html#table02

http://www.boell.de/de/2014/06/12/das-neue-europaparlament-staerker-fragmentiert-weniger-handlungsfaehig

http://www.boell.de/de/2014/07/16/von-tuer-zu-tuer-nach-europa

Andreas Speit

http://www.perlentaucher.de/buch/martin-langebach-andreas-speit/europas-radikale-rechte.html

http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/