Die NPD im Superwahljahr 2009

2009 finden in Sachsen und anderen für die NPD bedeutenden Bundesländern zahlreiche Wahlen statt: Zunächst am 7. Juni die Wahlen zum Europaparlament und die Stadt- und Gemeinderatswahlen in Sachsen, am 30. August Wahlen zum Sächsischen Landtag gemeinsam mit den Landtagswahlen im Saarland und in Thüringen, voraussichtlich auch in Brandenburg. Am 27. September finden die Wahlen zum Deutschen Bundestag statt.Daneben gibt es zahlreiche Kommunalwahlen in anderen Bundesländern.
Die NPD hat also Gelegenheit, einerseits ihre Verankerung in der Fläche durch zahlreiche neue Mandate auszubauen, andererseits Wahlsiege mit Symbolkraft als Bestätigung ihres ideologischen Angebotes zu verwerten. Andererseits würde ein Nichteinzug in die LandtageThüringens und Sachsens einen Rückschlag für den Aufbau parlamentarischer Strukturen der organisierten Neonazis in der Bundesrepublik bedeuten.
In diesem Beitrag soll thesenhaft auf Erfolgsaussichten und Erfolgsfaktoren für die NPD-Wahlergebnisse 2009 eingegangen werden. Um die Aussichten der NPD richtig einschätzen zu können und einen sinnvollen Umgang mit ihr im Wahlkampf zu finden, ist die Deutung der bisherigen Wahlergebnisse eine notwendige Voraussetzung.

Zur Deutung bisheriger Wahlergebnisse

Die Deutung der Gründe für den Wahlerfolg der NPD bei der sächsischen Landtagswahl 2004 bewegt sich im Wesentlichen zwischen zwei Polen. Während die einen auf die im Sommer und Herbst 2004 hochbrandende Anti-Hartz-IV-Stimmung verweisen, sind für die anderen latent vorhandene Einstellungsmuster in Teilen der sächsischen Bevölkerung und die seit langem voranschreitende Verankerung einer neonazistischen Szene in Sachsen die Hauptursache. Den einen Pol markierte der damalige sächsische Innenminister de Maiziere, der im Sommer 2005 bei einem Vortrag an der TU Dresden dezidiert die Protestwahlthese vertrat, also den Wahlerfolg als Ausdruck des Protestes in einer ganz spezifischen politischen Situation deutete. Sicherlich hat de Maiziere damit die damalige Stimmungslage in der CDU zum Ausdruck gebracht, die auch heute noch vorherrschen dürfte.
Demgegenüber steht eine Deutung, die die Wahlerfolge der NPD aus einer bewussten Zustimmung zu Kernthesen der Neonazis erklärt, die durch kontinuierliche Propagandaarbeit und lokale Präsenz aktualisiert werden kann. Diese antidemokratischen Aktualisierungspotentiale werden aus einem Unverständnis, Zweifel bis Ablehnung gegenüber demokratischen Spielregeln und gegenüber der Demokratie als politischem System gespeist. Demgegenüber erscheint vielen Wähler_innen der NPD beispielsweise das Versprechen einer konfliktlosen «Volksgemeinschaft» durchaus attraktiv, trifft sie doch auf Vorstellungen, die in anderem ideologischem Gewand auch die SED-Diktatur propagiert hatte. In dieser Sichtweise sind die Wahlerfolge der NPD keine kurzfristigen Aufwallungen des Volkszorns in der Wahlkabine, sondern Ausdruck einer echten Krise der demokratischen Werte der Freiheit und Gleichheit aller Menschen wie der realen Funktionsmechanismen der parlamentarischen Demokratie.
Natürlich können die Wahlerfolge der NPD nicht monokausal entweder als Protestwahl oder als Ergebnis einer langfristigen Verankerung in Sachsen erklärt werden. Beides spielt selbstverständlich zusammen. Darauf könnte man sich schnell einigen und über die Anteile streiten. Doch haben die gegenläufigen Deutungsansätze schwerwiegende Folgen für die Frage, wie die Wahlzustimmung zur NPD gesenkt werden könnte: Wer Wahlerfolge aus einer Proteststimmung erklärt, muss nur dafür sorgen, dass keine Proteststimmung entsteht und braucht sich über die Motive der Nazi-Wähler_innen keine Gedanken zu machen. Wer die Wahlerfolge aus der Verankerung in der Gesellschaft erklärt, muss sich mit den Motiven, Gesellschafts- und Menschenbildern der Wähler_innen auseinandersetzen. Nur in dieser Perspektive kann die Krise der Demokratie sichtbar werden, um die es eigentlich geht. Sozialwissenschaftliche Erhebungen kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Zustimmung zur Demokratie und die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie einerseits im Osten signifikant geringer als im Westen, aber die Zustimmung zu autoritären und rassistischen Positionen höher ist als im Westen Deutschlands sei. Daher liegt die These nahe, dass die NPD gerade von der geringeren Zustimmung zur real existierenden Demokratie profitiert und die Unzufriedenheit nicht von den demokratischen Parteien mit Reformvorstellungen zur realen Verfassung der Demokratie aufgefangen werden können, sondern in die generelle Ablehnung des Systems fließen.
Die Wahlergebnisse der NPD können Hinweise geben, in welchem Mischungsverhältnis Protestwahlmotivation und Systemablehnungsmotivation zueinander stehen. Sollte die Protestwahlthese stimmen, dann wäre nach einem Abflauen des öffentlichen Hartz-IV-Protestes auch mit einem Rückgang der Wählerstimmen der NPD zu rechnen. Es ist hilfreich, die langfristigen Umfragewerte und Wahlergebnisse rechtsextremer Parteien und der NPD in Sachsen seit 1990 zu betrachten.
Die Umfragewerte der NPD schwanken seit 1990 zwischen 2 und 9%.[1] Bereits im September 1990 wurde für die «Rechte» 6% prognostiziert und «rechte» Parteien erreichten bei der ersten Landtagswahl im Oktober 1990 ebenfalls schon 6% der Stimmen. Zwischen 1991 und 1996 lagen «Rechte» bzw. die NPD deutlich unter 5%. Bei der Landtagswahl 1994 erreichten «Rechte» 2,9%. Danach ist ein deutlicher Höhenflug zu verzeichnen, der die NPD erstmals wieder auf das hohe Niveau von 1990 führt: Im November 1996 erreicht sie wieder 5% der Stimmen. 1996/1997 ist die Zeitspanne, in der eine deutliche Schwerpunktverlagerung der NPD nach Sachsen und ein deutlicher Mitgliederzuwachs zu erkennen ist. Zwischen 1997 und 1999 liegen Rechte und die NPD dann aber wieder unter 5%. Bei den Landtagswahlen 1999 erreichen «rechte» Parteien zusammen unerwartete 6,5% der Stimmen. Zwischen 2000 und 2004 lag die NPD wieder deutlich unter 5%.[2] Erst in der heißen Wahlkampfphase im September 2004 schießen die Umfragewerte der NPD deutlich in die Höhe: am 8. September 7% (infratest dimap), am 10. September 9% (Forschungsgruppe Wahlen) und ebenfalls am 10.9. 7% (Leipziger Institut für Marktforschung). Am 19.9. 2004 erreicht die NPD dann 9,2% der Stimmen bei den Landtagswahlen. Der emotionale Höhenflug der NPD aufgrund des Wahlerfolges hielt offenbar noch bis ins Frühjahr 2005 an, denn im Februar 2005 prognostizierte EMNID wiederum 9% für die NPD: Zwischen Juli 2005 und Februar 2006 liegt die NPD nur noch zwischen 4 und 5%. Zwischen Juli 2006 und September 2007 liegt die NPD wieder stabil über der 5%-Hürde meist zwischen 6 und 7%. Ende 2007 bis Mitte 2008 liegt die NPD deutlich niedriger zwischen 4% und 5% der prognostizierten Stimmen und erreicht bei den Kreistagswahlen im Juni 2008 in ganz Sachsen außer den kreisfreien Städten Dresden, Leipzig und Chemnitz 5,1% der Stimmen.

Was bedeutet dies für die Frage Protestpartei oder Partei der antidemokratischen «Volksgemeinschaft »-Ideologie? Der relativ hohe Sockel der Wähler_innenzustimmung um 5% belegt u. E. gemeinsam mit anderen Umfragen in Sachsen [3] eine verfestigte Wähler_innenlandschaft mit Zustimmung mindestens zu wesentlichen Teilen des ideologischen Fächers der NPD in Sachsen.

Die Wahlaussichten der NPD

Um die Wahlaussichten der NPD 2009 einschätzen zu können, spielen mehrere Faktoren, regionale Besonderheiten und kurzfristige Entwicklungen eine Rolle. Im Anschluss stellen wir zunächst für Sachsen Thesen auf:

  • Die NPD kann in Sachsen auf ein relativ stabiles Zustimmungspotenzial von um 5% der Wähler_innen bauen.

  • Die NPD hat mit dem Landtagswahlergebnis 2004 ihr langjähriges Wählerpotenzial in Sachsen offenbar voll ausgeschöpft. 9,2% markiert den höchsten erzielten Wert, der nur kurz vor der Landtagswahl am 10. September 2004 (Forschungsgruppe Wahlen), nochmals im Februar 2005 (EMNID) und dann im September 2007 (Forsa) und annähernd zuvor im Juli 2007 mit 8% (Forsa) annähernd erreicht wurde.

  • Die NPD kann unmittelbar bei Wahlen wesentlich mehr Wählerstimmen mobilisieren, als ihr Umfragen selbst wenige Wochen zuvor noch zusprechen. Offenbar bekennen potentielle NPD-Wähler_innen bei Umfragen ihre Neigung nicht immer. Dann würden die Umfragewerte nicht die tatsächlich höhere Zustimmung im Wahlvolk widerspiegeln. Angesichts des Umstands, dass auch vor den Wahlen 1999 und vor den Kreistagswahlen 2008 die Umfragewerte unter den Wahlergebnissen lagen, ist diese Deutung wahrscheinlich.

  • Das Außenbild und die Krisen der NPD-Landtagsfraktion sind nicht maßgeblich für die erzielten Umfragewerte und die zu erwartenden Wahlergebnisse. In den Umfragewerten seit der Landtagswahl 2004 lassen sich drei Phasen unterscheiden: Ein Absinken der Werte im Jahr 2005 unter und bis 5%, einen Anstieg ab Februar 2006 bis November 2007 auf stabile 6 bis 7% und danach wieder ein Absinken auf unter 5 bis 5% seitdem. Also beginnt ausgerechnet in der Krise der NPD-Fraktion nach dem Austritt der drei Abgeordneten Schmidt, Baier und Schön im Dezember 2005 im Februar 2006 die stabile Phase, die auch durch den Unfalltod von Uwe Leichsenring Ende August 2006 und den Austritt und Ausschluss von Matthias Paul und Hans-Jürgen Menzel im November 2006 nicht beeinträchtigt wird.4 In dieser Phase liegt auch der Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Das Absinken der Wähler_innenzustimmung seit November 2007 kann ebenfalls nicht deutlich durch Veränderungen in der Außenwirkung der Fraktion erklärt werden. Auch die Wahlergebnisse der Kreistagswahlen lassen kaum direkte Bezüge zwischen Bekanntheitsgrad, regionaler oder örtlicher Verankerung oder gar fach- oder sachpolitischen Angeboten der Kandidat_innen und deren Wahlergebnissen erkennen.

  • Die NPD kann auf eine deutlich breitere organisatorische Basis zurückgreifen. Die NPD hat gezeigt, dass sie bei den Kreistagswahlen mehr als 200 Kandidat_innen aufstellen konnte (siehe Beitrag von Miro Jennerjahn in dieser Broschüre). Allein durch die Ergebnisse dieser Wahlen kann die NPD auf eine von 13 auf 44 erhöhte Anzahl von Mandatsträger_innen bauen. Natürlich verfügen vor allem die Landtagsabgeordneten und ihre Mitarbeiter_innen über mehr organisatorische Erfahrungen. Daneben hat die Landtagsfraktion ihre Möglichkeiten für mehr Präsenz durch die Massenpublikationen wie Broschüren und Flyer genutzt und sich so immer wieder in die Öffentlichkeit gebracht. Nicht zuletzt verfügt vor allem die Landtagsfraktion ein Mehr an Erfahrung bei der Nutzung der Medienöffentlichkeit durch gezielte Provokationen und Skandalisierungen.

  • Die Unterstützung der NPD-Wahlkämpfe durch «Freie Kräfte» ist der größte Unsicherheitsfaktor für die Wahlergebnisse der NPD. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Publikum ist der Bundesparteitag der NPD für den April 2009 geplant, dieser Termin ist umkämpft und kann schon an der Frage der Raumfindung scheitern. Deshalb ist unsicher, ob die Flügelkämpfe innerhalb der NPD noch vor den Wahlen ausbrechen oder geklärt werden. Die «Freien Kräfte» und ihre Protagonist_innen innerhalb der NPD kritisieren die Mandatsträger_innen weil diese den Kampf gegen das «System» nicht radikal nicht genug führen, sich am verhassten System des Parlamentarismus beteiligen und sie nicht ausreichend an den vermeintlichen Pfründen des Landtages mit Geld und bezahlten Stellen beteiligen. Es ist unklar, ob die «Freien Kräfte» ihre Kritik vor allem an der Landtagsfraktion für die Wahlkämpfe zurückstellen und diese organisatorisch unterstützen oder ob die NPD die «Freien Kräfte» durch neue Versprechen in Bezug auf Geld und Posten für sich mobilisieren kann. 

  • Die absehbare Konkurrenz für die NPD ist zwar chancenlos, kann der NPD aber 1% kosten. In Sachsen werden voraussichtlich ein Bündnis aus Sächsischer Volkspartei, die im März 2006 vom ehemaligen NPD-Mitglied und jetzt partei- und fraktionslosen Landtagsabgeordneten Mirko Schmidt gegründet wurde, und Republikanern (REP), sowie die Wahlvereinigung des aus der CDU ausgeschlossenen Henry Nitzsche «Bündnis Arbeit, Familie, Vaterland – Liste Henry Nitzsche e.V.» zu den Landtagswahlen antreten. Insgesamt können die im selben politischen Lager agierenden Listenwohl kaum mit 1% der Wähler_innenstimmen rechnen, diese könnten der NPD zum Einzug in den Landtag aber fehlen.

Landtagswahlen Thüringen

Die Personal-und Kaderdecke der NPD in Thüringen ist vergleichsweise sehr dünn, sie kann also aus eigener Kraft weder ausreichend Kandidat_innen aufstellen noch einen flächendeckenden Wahlkampf organisieren. Sie ist deshalb auf Zusammenarbeit mit «Freien Kameradschaften» noch stärker angewiesen als in Sachsen. Hier gilt dieselbe Unsicherheit wie in Sachsen: Die Frage ist, ob die NPD die Bedingungen der «Freien Kameradschaften» für eine Zusammenarbeit akzeptiert oder versucht mit Kadern aus anderen Bundesländern anzutreten. In Abhängigkeit von dieser Frage ist der Einzug in den Landtag ungewiss, aber nicht ausgeschlossen.

Landtagswahlen Saarland

Die NPD wird ihren für die Altbundesländer überraschenden Erfolg von über 4% bei den letzten Landtagswahlen im Saarland nicht wiederholen können. Sie wird also mit ihren Spitzenkandidaten Peter Marx und Frank Franz nicht in den Landtag einziehen. Die Hauptursache dürfte darin liegen, dass das ideologische Zustimmungspotenzial im Saarland doch eher wie im Durchschnitt der alten Bundesländer unter 2% liegen dürfte. Die Partei «Die Linke» (PdL) bietet den Protestwähler_innen wohl ein Angebot und Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat bietet auch Anknüpfungspunkte für eher autoritär orientierte, demokratieskeptische und latent ausländerängstliche Menschen.

Landtagswahlen Brandenburg

Bei den Wahlen zu den Kreistagen der Landkreise und Stadtverordnetenversammlungen der kreisfreien Städte in Brandenburg am 28. September 2008 sind DVU und NPD nicht gegeneinander angetreten, sondern hatten sich die Wahlkreise mehr oder weniger aufgeteilt. Dabei erreichte die DVU in Potsdam und 8 Landkreisen Ergebnisse zwischen 0,9% (Oder-Spree) bis 5,1% (Elbe-Elster), die NPD in Cottbus und 6 Landkreisen Ergebnisse zwischen 3,0% (Cottbus) und 4,8% (Dahme-Spreewald). NPD und DVU ziehen in alle Kreistage und Stadtparlamente der kreisfreien Städte ein, für die sie Kandidaten gefunden haben; NPD in 7 (bisher 2), die DVU in 8 (bisher 7), also in 15 von 18 Kreistagen und Stadtparlamenten. Allerdings erreichen NPD oder DVU in keinem Kreistag oder Stadtparlament Fraktionsstatus.Die NPD erhöht die Zahl Ihrer Mandatsträger_innen in den Kreisen und kreisfreien Städten von 3 auf 16, die DVU von 9 auf 13. Die NPD erzielt im Landesdurchschnitt ein besseres Ergebnis als die DVU (1,8 zu 1,6%), aber beide Parteien bleiben hinter ihren eigenen Erwartungen zurück, zumal es beiden nicht einmal gemeinsam gelang, flächendeckend anzutreten.
Zwei der 13 Mandatsträger der DVU sind Mitglieder der NPD, das deutet auch auf ein Vorgehen für 2009 hin: Der sogenannte «Deutschlandpakt» wird noch insofern Geltung haben, dass die NPD in Brandenburg nicht antritt, allerdings werden weitere NPD-Mitglieder auf der Liste der DVU stehen. Es ist aber nicht sehr wahrscheinlich, dass die NPD über den Umweg der DVU-Listen in das brandenburgische Parlament einzieht, beide Parteien liegen in Umfragen derzeit unter 5%. Mittelfristig baut die NPD ihre lokale Verankerung in Brandenburg allerdings ebenfalls aus.

Europawahlen

NPD hatte im Vorfeld der Bundestagswahlen 2005 mit der DVU vereinbart, dass sie im Jahr 2009 auf einen eigenen Antritt zu den Europawahlen verzichten wird. Es ist zu erwarten, dass einige Kandidat_innen der NPD auf der DVU-Liste auftauchen. Chancen hat die DVU nicht. Auch wenn innerhalb der NPD erste kritische Stimmen laut werden, die bereits zur Europawahl das Ende des Deutschlandpakt fordern, ist dies nicht zu erwarten und auch eine antretende NPD hätte wohl kaum Chancen auf eigenständige Mandate für das Europäische Parlament.

Bundestagswahlen

Nach bisherigen Verlautbarungen möchte sich die NPD unbedingt an die gesetzlichen Regelungen halten und flächendeckend in allen Bundesländern mit Landeslisten und möglichst mit Direktkandidaten antreten. Dabei werden auf den Listen der NPD keine Kandidat_innen anderer Parteien antreten, sondern ausschließlich NPD-Mitglieder und Parteilose. Der Deutschlandpakt zwischen NPD und DVU (09/2004) zur Bundestagswahl sieht vor, dass 2009 die NPD antritt, ob er allerdings Bestand haben wird ist unklar; 2005 waren noch Listenplätze an die DVU übergeben worden; inzwischen hat die DVU bereits auf Thüringen verzichtet, um weiterhin in Brandenburg ohne NPD-Konkurrenz antreten zu können. Dies wird als Zeichen der Schwäche der DVU im Verhältnis zur NPD gedeutet und folgerichtig wird die NPD nach jetzigem Kenntnisstand keine Listenplätze an die DVU vergeben. Ob die DVU zur Bundestagswahl 2009 antreten wird ist unklar, aber wohl eher unwahrscheinlich. Trotzdem ist es schwer vorstellbar dass die NPD bundesweit ein Ergebnis von mehr als 2% der Stimmen erreichen könnte. Die Wahlergebnisse der NPD bei Bundestagswahlen lagen nach dem «Erfolg» von 1969 mit 4,3 % bis einschließlich 2002 immer deutlich unter 1 %, 2005 bei 1,6 %. Vor allem in den Bundesländern der alten Bundesrepublik ist NPD, abgesehen von einigen regionalen Hochburgen bei Wahlen nahezu bedeutungslos und es ist nicht erkennbar, dass sich dies kurzfristig ändern könnte.

Stadt- und Gemeinderatswahlen in Sachsen

Nach den Erfahrungen von 2008 muss davon ausgegangen werden, dass die NPD in allen Kreisen Kandidat_innen aufstellen und in zahlreiche Stadt- und Gemeinderäte einziehen wird. Die Kandidat_innen werden denen der Kreistagswahlen 2008 sehr ähnlich sein. In einzelnen Hochburgen, v. a. in Ostsachsen, Sächsische Schweiz, Erzgebirge wird sie in den Kommunalparlamenten Fraktionsstärke erreichen. Chancen auf eine Fraktion hat sie auch in den Großstädten Chemnitz und Dresden.
Die kommunale Verankerung der NPD wird sich weiter fortsetzen; nach der Wahl wird NPD in Sachsen über noch mehr Abgeordnete in Parlamenten verfügen als bisher. Jenseits der absehbaren Misserfolge bei den Europa- und Bundestagswahlen und dem unsicheren Ausgang der Landtagswahlen wird die NPD also längerfristig mit Mandaten in Sachsen vertreten sein, den Prozess der «Normalisierung» ihrer Präsenz in der sächsischen Politik weiter vorantreiben und antidemokratische Einstellungen weiter verstärken.

Zum Umgang mit der NPD in den Wahlkämpfen

In den letzten 18 Jahren lag die NPD in Wahlumfragen und Wahlergebnissen doppelt so lange unter 5% als darüber. Selbst in den vier Jahren seit dem Einzug in den Landtag lag sie die Hälfte der Zeit unter 5%. Die NPD kann daher keineswegs mit einem sicheren Einzug in den Landtag rechnen. Der Wahlausgang ist abhängig von Faktoren, die demokratische Initiativen kaum beeinflussen können wie die mehrfach beschriebenen Konflikte innerhalb der NPD und mit den «Freien Kräften».
Die Einstellungsmuster in der Bevölkerung und daraus erwachsende Zustimmungen zum Menschen- und Gesellschaftsbild der Neonazis oder zu einzelnen ideologischen Fragmenten daraus lassen sich in einem Wahlkampf ebenfalls nur sehr wenig verändern. Dies war und bleibt eine dauerhafte Aufgabe der demokratischen Zivilgesellschaft in Sachsen. Andere Erfolgsfaktoren lassen sich aber auch im Wahlkampf durch demokratische Initiativen bzw. Einrichtungen beeinflussen: Dem schleichenden Normalisierungsprozess muss gerade im Vorfeld von Wahlen entgegengewirkt werden. Auch wenn sich die NPD an demokratischen Wahlen beteiligen darf und dies auch tut, ist sie in ihrem ideologischen Kern antidemokratisch und will das System von demokratischer Kontrolle von Macht beseitigen.
Deshalb ist es notwendig, die NPD und ihre Abgeordneten nicht nur im Landtag, sondern auch in den Kommunen und Kreistagen als Nicht-Normale Beteiligte in den Parlamenten und Räten zu isolieren und dieses Vorgehen deutlich und öffentlich zu begründen. Jede heimliche oder offene Zusammenarbeit, jede Zustimmung zu vermeintlich «sachlichen» Beiträgen, jeder Handschlag auf dem Flur senkt die Hemmschwelle, Neonazis zu wählen. Deshalb ist es in den kommenden Wahlkämpfen besonders notwendig, dass die wenigen politischen Aussagen der NPD analysiert werden und ihr menschenfeindlicher Kern aufgedeckt und öffentlich gemacht wird.
Deshalb ist es sinnvoll, jedes Auftreten der NPD im Wahlkampf durch demokratische Initiativen zu beantworten. Kein NPD-Wahlkampfstand, keine Demonstration oder Kundgebung der Neonazis darf unbeantwortet bleiben.
Für diese drei Elemente, die der Normalisierung der Präsenz der NPD entgegenwirken können – Isolierung, Analyse und permanente Gegenpräsenz - können unterschiedliche Akteure ihre jeweiligen Beiträge leisten. Keine Zeitung muss die Beiträge der NPD-Kandidat_innen gleichberechtigt, ungekürzt oder unkommentiert abdrucken, Berichte über die NPD und ihre Wahlkämpfe dürfen nicht «neutral» sein gegenüber der Gefährdung der Grundlagen demokratischen Zusammenlebens, bei der Analyse können externe Initiativen und Wissenschaftler_innen unterstützend wirken. Keine Kommune muss die Auftritte der NPD-Wahlkämpfer unwidersprochen hinnehmen. In der Zusammenarbeit mit Vereinen und Initiativen lassen sich angemessene Reaktionen finden. Kein Verein ist alleingelassen mit diesem Problem, er findet Partner im Ort oder in überregionalen Netzwerken.
Darüber hinaus ist die NPD darauf angewiesen, besondere Protest-Stimmungslagen auszunutzen, um sicher und deutlich über 5% zu gelangen. Die NPD ist eine Mobilisierungs- und Wahlkampfpartei: es ist erforderlich, gerade im heißen Wahlkampf durch Präsenz der demokratischen Parteien der NPD nicht das Feld zu überlassen. Ein aktiver und offensiver Anti-NPD-Wahlkampf hat Aussicht auf Erfolg. Ein solcher Wahlkampf muss den kriminellen Hintergrund vieler Kandidaten aufdecken und zum öffentlichen Thema machen. Er muss durch Plakatpräsenz bis ins letzte Erzgebirgsdorf zeigen, dass die NPD nicht die einzige politische Kraft ist, die sich um die Sorgen der Menschen kümmert.
Ein Anti-NPD-Wahlkampf wie hier beschrieben, würde durch das abgestimmte Zusammenwirken aller demokratischen Parteien besonders wirksam werden. Ein solches Zusammenwirken ist in der sächsischen Politik 2009 allerdings nicht zu erwarten. Das ändert nichts an der Verantwortung der Kommunen, Parteien, Medien und Vereine vor Ort, jeweils ihren Beitrag für die offensive Auseinandersetzung mit der NPD zu leisten. Angebote für Erfahrungsaustausch, Unterstützung und Weiterbildung dazu gibt es in Sachsen inzwischen ausreichend und sind zum Beispiel über das Netzwerk Tolerantes Sachsen (http://www.tolerantessachsen) zu recherchieren.

NPD, Neonazis und antidemokratische Einstellungen nach den Wahlen 2009

Formal wird die NPD 2009 bei den Bundestags- und Europawahlen und sicher bei den Landtagswahlen im Saarland scheitern, ein Scheitern in Thüringen ist wahrscheinlich,
der Wiedereinzug in den Sächsischen Landtag wahrscheinlich, aber zu verhindern. Der große symbolträchtige Durchbruch wird den Neonazis 2009 - bezogen auf diese Parlamente - also nicht gelingen. Das darf nicht davon ablenken, dass in Sachsen und anderen Bundesländern die NPD ihre Verankerung in den Gemeinden ausbauen wird und neonazistische Aktivitäten konstant und in großer Breite eine zusätzliche Basis erhalten.
Gleichzeitig radikalisiert sich die neonazistische Szene offensichtlich. Geplante Gewalttaten und Brandanschläge nehmen in den letzten Monaten zu, so genannte «autonome
nationale sozialistische» Gruppierungen treten häufiger bei Aufmärschen auf und stellen eine zusätzliche Gefahr dar. Antidemokratische Einstellungen bleiben bei einem Bevölkerungsanteil virulent, der weitaus größer ist als das organisierte neonazistische Potenzial.

Eine Verringerung bei den Anstrengungen von Vereinen, Initiativen und Kommunen, eine Verringerung der Fördermittel für diese Initiativen wären eine fatale Fehlinterpretation von möglichen Misserfolgen der NPD auf Landesebenen.

 

Anmerkungen

[1]    Die Umfragen aller Institute für Sachsen sind unter http://www.wahlrecht.de einzusehen. Die schlechten NPD-Werte bei aproxima sind wohl darauf zurückzuführen, dass dieses Institut persönliche Interviews führt und sich ein Teil der Wähler_innen der NPD offensichtlich scheut, sich zur NPD zu bekennen.

[2]     Am 31.12.2002 prognostizierte das Leipziger Institut für Marktforschung allerdings 5%, ein Wert, der in der langen Reihe zwischen 2000 und 2004 aber vereinzelt blieb.

[3]     Heitmeyer, Wilhelm. 2002-2008. Deutsche Zustände. Folge 1-6. Frankfurt am Main., Brähler, Elmer/ Decker, Oliver: Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellung und ihre Einflussfaktoren in Deutschland. Berlin 2006, Brähler et all.:Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland. Berlin 2008, Niedermayer, Oskar. Demokratische und rechtsextremistische Einstellungen in Deutschland

[4]     Zur Entwicklung der NPD-Fraktion Johannes Lichdi, Die NPD in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, in: Milan Horácek / Sebastian Striegel, Nazis in den Parlamenten, 2008, S. 26 – 45.

 

 

AutorInnen

Johannes Lichdi ist seit 2004 Abgeordneter von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im 4. Sächsischen Landtag. Im Innen- und Rechtsausschuss macht er sich für mehr Bürgerrechte und Bürgerbeteiligung stark. Demokratiearbeit ist eines seiner wichtigsten Themen. Er verantwortet unter anderem gemeinsam mit Achim Wesjohann und Christine Schickert redaktionell die Dokumentation eines Fachgesprächs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag am 24. Mai 2006 «Die NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag - Strategie und Ideologie».
Informationen unter http://www.johannes-lichdi.de

Stefan Schönfelder hat in Dresden Architektur studiert. Von 1992 bis 1997 war er Landesgeschäftsführer der GRÜNEN LIGA Sachsen e.V. Seit 1999 arbeitet er für Weiterdenken - die Heinrich Böll Stiftung Sachsen, seit Oktober 2007 führt er die Geschäfte der Landesstiftung. Weiterdenken hat zum Thema zahlreiche Veranstaltungen organisiert und Publikationen bzw. Ausstellungen veröffentlicht.
Informationen unter http://www.weiterdenken.de

NiP steht für «Nazis in den Parlamenten» und ist ein freies Redaktionskollektiv. Begonnen hat das Projekt mit der Kommunalwahl in Sachsen im Jahr 2004. NiP Sachsen erweiterte sich nach dem Einzug der NPD in den Landtag im September 2004. Auf der Internetseite http://nip.systemli.org werden kritische Dokumentationen über die Aktivitäten von Nazis in sächsischen Parlamenten angeboten. Hintergrundinformationen zu den Abgeordneten und Mitarbeiter_innen der NPD im Landtag findet man ebenso wie Berichte und Kommentare zu den Landtagssitzungen. Darüber hinaus gibt es eine große Auswahl an Presseartikeln zu neonazistischer Parlamentsarbeit. Kontaktieren kann man NiP über nip@systemli.org.

 

 

Dieser Text ist Teil einer Broschüre, die Weiterdenken gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung (Bund) und dem AutorInnenkollektiv "Nazis in Parlamenten (NiP) veröffentlicht hat: "Die NPD im Sächsischen Landtag. Analysen und Hintergründe 2008".

 

 

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