#1: Kolonialismus in Museen und dekoloniale Perspektiven - 17. Januar 2017

Der Veranstaltungsraum im Grassi Museum ist zur ersten Veranstaltung der Reihe (UN)SICHTBAR!? gut gefüllt. Gast 120 Gäste interessieren sich für das Thema „Kolonialismus in Museen und dekoloniale Perspektiven“.

Das ethnographische Museum in Leipzig entstand zur Kolonialzeit und ein Großteil der Objekte gelangte in der Zeit des Deutschen Kolonialismus aus der ganzen Welt nach Leipzig. Im Fokus der Veranstaltung stehen mit einem Beitrag von Bernard Müller Fragen um den Besitz und Nutzen von kolonialer Beutekunst, sowie der Blick Susanne Wagners auf Möglichkeiten dekolonialer Ansätze des Ausstellens und Inszenierens im ethnographischen Museum.

Mit der kurzfristigen Absage von Maria Do Mar Castro Varela bleibt die angekündigte Einführung in die postkoloniale Kritik und ein globaler Blick aus dieser Perspektive auf das ethnographische Museum weitgehend aus und die Veranstaltung damit recht vorraussetzungsreich.

Christine Fischer aus dem Grassi-Museum eröffnet die Veranstaltungsreihe. In ihren Willkommensworten wirft sie u.A. die Initialfrage zu dieser Reihe auf, warum die deutsche Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit vergleichsweise so spät einsetzte. Mitorganisator Stefan Schönfelder von der Stiftung Weiterdenken begrüßt die Kooperation mit dem Grassi Museum und dass sich das Museum damit als wichtige Institut in Leipzig und Sachsen der Verantwortung der postkolonialen Reflektion stellt.

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Im ersten Beitrag des Abends berichtet der Anthropologe Bernard Müller von der Motivation und den Ergebnissen des „Broken Memory“-Projekts (http://www.brokenmemory.net), welches von 2003 bis 2010 zum Thema der kolonialen Beutekunst und ihren Rückführungsprozessen international vernetzt arbeitet und von ihm koordiniert wurde. Ein Ergebnis war dabei, dass viele Objekte, die in europäischen Museen lagern oder ausgestellt werden, tatsächlich nicht vergessen, sondern in der Erinnerungskultur in den jeweiligen Ländern lebendig sind. Sie spielen eine dynamische Rolle in einer komplexen postkolonialen Identitätssuche, wobei die koloniale Vergangenheit weiterhin eine aktuelle Dimension ist.

Zum Beispiel konnten Schüler in Togo, die er an einem Kriegsdenkmal für deutsche Soldaten über die Geschehnisse vor über 100 Jahren befragte, die Geschichte des Aufstands der Konkomba von 1897 und der Niederschlagung durch die Deutschen mit großer Präzision wiedergeben und interpretierten u.A. das Denkmal in kreativer Weise. Die während dieses Feldzugs konfiszierten Speere, Bögen, Pfeile und Fetische liegen bis heute in ethnographischen Archiven in Sachsen, ohne aber als Kriegsbeute klassifiziert zu werden. Nach Bernard Müller sollten Institutionen wie Museen oder die Ethnologie als Forschungsinstitution daher dieser gemeinsam geteilten kolonialen Geschichte mit wirklichem Dialog begegnen, ohne die fundamentale Gewalt zu leugnen, die ihr eingeschrieben ist.

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Anschließend stellt Susanne Müller erste Beobachtungen im Rahmen ihrer Dissertation vor. Ihre Forschungsfrage ist dabei die Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der kolonialen Spuren in Inhalten und im strukturellen Aufbau zeitgenössischer Ausstellungen und wie sich die Museen produktiv damit auseinandersetzen.

Anhand von Beispielen aus Sonderausstellungen zeigt Susanne Wagner in ihrem Input wie beispielsweise durch das Wegnehmen von Objekten oder dem Einschränken der Sicht auf die Objekte der Raum frei gemacht wird für die dekoloniale Perspektive oder wie komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge in der Ausstellung thematisiert werden können.

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Der Prozess der dekolonialen Auseinandersetzung ist für sie ein andauernden Prozess der Auseinandersetzung und auch des Abarbeitens an den kolonialen Verflechtungen der Objekte und der kolonialen Museumspraxis. Die dekoloniale Perspektive gehe in zwei verschiedene Richtungen. Die eine Richtung ist die Selbstreflexion der Museen zur eigenen Gründungs- und der Erwerbsgeschichte ihrer Objekte und die Reflexion der Fortführung von kolonialen Mustern, beispielsweise in der Klassifikation der Objekte.
Diese Auseinandersetzung bietet die Voraussetzung für die zweite Richtung, nämlich neue Ausstellungsformate zu finden, die mit kolonial geprägten Umgangs-und Ordnungsmuster zu brechen. Eine Strategie dafür ist das Erzeugen von Vielstimmigkeit und der Darstellung einer Vielfältigkeit unterschiedlicher Perspektiven zu den Objekten. Dies kann bei Museumsbesucher zu Irritation führen, da es in der dekolonialen Perspektive auch darum geht Spannungen und Widersprüchen Raum zu geben.
Idealerweise verändert sich ein Museum mit der dekolonialer Perspektive von dem einen Deutungsangebot in Bezug auf seine Objekte in einen Raum in dem verschiedene Deutungsmöglichkeiten verhandelt und zueinander in Bezug gesetzt werden.

Neben direkten Nachfragen zu den Vorträgen werden in der Diskussion Fragen aufgeworfen, welche Veränderungen es bräuchte, wenn auch ehemals Kolonisierte als Publikum mitgedacht werden, welches Potential die Prominenzforschung, also die Forschung über der Herkunft und des Erwerbs der Objekte hat. Auch Fragen zu der Rückgabe einzelner Objekte kommen auf und die Anmerkung dass in der Veranstaltung so wenig auf die Sammler und Stiftungsgründer eingegangen wurde.

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Susanne Wagner, Promotionsstipendiatin am Kompetenzzentrum Medienanthropologie der Bauhaus Universität Weimar. In ihrem Promotionsvorhaben zu postkolonialen Ausstellungen untersucht sie auch die Sonderausstellungsreihe des Leipziger Völkerkundemuseums "GRASSI invites".

Bernard Müller, Forscher der Anthropologie und Performance Studies (IRIS, Paris). Er koordiniert das "Broken Memory"-Projekt zur Aktualität kolonialer Kriegsbeute im Zusammenhang mit der Debatte um Restitution und Reparation. In Kooperation mit dem GRASSI Museum für Völkerkunde und dem Institut für Ethnologie zu Leipzig leitet er das Seminar "Museum on the Couch - Reflexive und kreative Erkundungen in den ethnographischen Sammlungen".

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